Bürokraten möchten interne Sanktionen vermeiden

„Bürokratische Verlässlichkeit setzt keine Freundschaft oder Liebe voraus. Der typische Bürokrat kennt seine Klienten nicht. Er ist aber auch nicht im ökonomischen Sinne eigeninteressiert, da es in seinem Handeln nicht um Gewinnmaximierung geht. Der Regelbruch würde sich nicht im rationalen Sinne für ihn lohnen. Martin Hartmann erklärt: „Das ist der Unterschied zwischen der ökonomischen Verlässlichkeit und der bürokratischen Verlässlichkeit.“ Im ökonomischen Kontext riskiert man die Verletzung durch den anderen. Im bürokratischen Zusammenhang erleidet man sie und kann sich gegebenenfalls auf der Basis transparenter Regeln gegen sie wehren. Entsprechend unterscheiden sich die Sanktionsmechanismen. Für Marktteilnehmer ist der Verlust der Reputation oder Marktstellung relevant als Motiv der Vermeidung unlauteren Verhaltens. Für Bürokraten geht es eher darum, interne Sanktionen zu vermeiden, oder darum, nicht als inkompetent oder vorurteilsbeladen dazustehen. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

Gegenüber Bürokratien ist man verletzbar

Wie verhält es sich mit dem Wohlwollen bei bürokratischer Verlässlichkeit? Martin Hartmanns Formel war bislang: „Die Verletzlichkeit des anderen nicht ausnutzen, auch wenn sich das ökonomisch lohnen würde. Und zwar aus Rücksichtnahme auf moralisch relevanten Interessen der verletzbaren Person.“ Weil diese Art der Rücksichtnahme in ökonomischen Kontexten oft nicht vorhanden ist, fiel die Kategorie des Vertrauens vorerst aus ihnen raus. Zweifellos ist man gegenüber Bürokratien verletzbar.

Auch haben Menschen Interessen, auf deren Erfüllung sie setzen. Und warum soll man nicht sogar sagen, dass Bürokratien die menschlichen Interessen berücksichtigen und ernst nehmen, also alles tun, was Schaden von den Menschen abwendet? Martin Hartmann ergänzt: „Das gilt natürlich nicht für jeden Schaden, der uns zustoßen kann, aber zumindest für die Schäden, die uns die Bürokratie selbst zufügen kann. Die gute Bürokratie fügt uns diesen Schaden nicht zu, wie sie „weiß“, dass ihre Aufgabe darin besteht, uns mit Blick auf einen bestimmten Sachverhalt zu unterstützen.“

Vertrauen ist sowohl wertvoll als auch anspruchsvoll

Warum also bürokratische Verlässlichkeit statt Vertrauenswürdigkeit? Der für Martin Hartmann wichtige Punkt ist hier die Orientierung an transparenten Regeln. Man kann wissen, was passiert, wenn man die Regeln einer Bürokratie kennt. Vertrauensverhältnisse lassen sich aber nicht in dieser Weise auf Regeln bringen. Sie sind ungeregelt im vollen Sinne des Begriffs. Die Person, der man vertraut, gewinnt durch das Vertrauen Spielräume, die sie sonst nicht hätte.

Martin Hartmann betont: „Diese Spielräume sind zwar nicht grenzenlos. Es gibt Dinge, die ich unter keinen Umständen dulden könnte, aber was genau mein Vertrauen erfüllt, ist nicht in einem vorab vorliegenden Regelbuch niedergeschrieben.“ Es bleibt in Vertrauensverhältnissen also immer ein undeutlicher oder undefinierter Raum bestehen, der erst von den beteiligten Akteuren selbst mit Inhalten gefüllt wird. Dieser gegenseitige Freiheitsgewinn ist es, der Vertrauen so wertvoll, aber eben auch anspruchsvoll macht. Quelle: „Vertrauen“ von Martin Hartmann

Von Hans Klumbies

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