Ohne Schlaf gibt es kein Leben

Die neue Sonderausgabe Nr.26 des Philosophie Magazins trägt den Titel „Der Schlaf“. Jeder Mensch schläft durchschnittlich ein Drittel seines Lebens. Das ist mehr Zeit, als man etwa mit Freunden oder der Familie verbringt. Chefredakteurin Theresa Schouwink schreibt im Editorial: „Der Schlaf, so zeigt dieses Heft“ ist das unabdingbare Andere von Bewusstsein, Vernunft und Willenskraft, die ohne Gegengewicht unerträglich und irrational werden. Der Schlaf erhält das Lebendige, lässt uns lernen und träumen.“ Gegliedert ist die Sonderausgabe in vier große Kapitel: 1. Warum sind wir so müde? 2. Wie gut einschlafen. 3. Wo bin ich, wenn ich schlafe? und 4. Was lernen wir aus unseren Träumen? Wer sich körperlich verausgabt, fällt am Ende des Tages müde ins Bett. Heute jedoch plagt viele Menschen eine andere Form der Erschöpfung. Sie haben das Gefühl des dauerhaften Ausgebranntseins.

Der Schlaf bleibt ein unbezwingbarer Teil der sozialen Welt

Die Krise des Schlafs ist für den Kunsttheoretiker und Essayisten Jonathan Crary auch eine Krise der Erde. Wie steht es um den Schlaf in einer Welt, die keinen Stillstand mehr kennt? Jonathan Crary warnt vor der Bedrohung der Regeneration von Mensch und Natur in der westlichen Moderne. Dennoch bleibt er optimistisch: „Der Schlaf, so ungeschützt und beeinträchtigt er auch sein mag, bleibt ein unbezwingbarer Teil der sozialen Welt.“ Zudem hofft er vorsichtig auf die unvermeidliche, baldige Erschöpfung des globalen Kapitalismus.

Ratgeber, Tracking-Apps, Hormonsprays – sie alle versprechen ein leichteres Einschlafen. Wie begegnet man dem tragischen Paradox, dass der Schlaf sich umso mehr entzieht, je stärker man ihn ersehnt und herbeiruft? Ein Rezept zum Einschlafen stammt von Pythagoras von Samos (6. Jh. V. Chr.): „Lass den Schlaf nicht mehr zu deinen sanften Augen kommen, ehe du jedes Werk des Tages dreimal durchdacht hast.“ Statt sich dem Grübeln auszuliefern oder es gar zu bekämpfen, akzeptiert man, dass Sorgen und Zweifel nach Aufmerksamkeit verlangen.

Träume sind das Tor zum Unbewussten

Was geschieht im Schlaf mit dem Bewusstsein eines Menschen? Der Philosoph und Kognitionswissenschaftler Alva Noë erklärt: „Aber es steht fest, dass unsere Gehirne hart arbeiten, während wir schlafen. […] Wir lösen Probleme, wachen mit Entschlüssen auf. Wir kümmern uns um uns selbst, wenn wir schlafen. Es ist kein Zustand der Passivität.“ Träumen ist laut Alva Noë etwas, dass eine Person verwirklicht, indem sie ihr ganzes Erleben ordnet. Manchmal stellt man sich vor, Träume wären ein magischer Raum, in dem alles passieren kann. Aber Menschen sind in ihren Träumen genauso begrenzt wir in ihrem echten Leben. Sie sind begrenzt durch das, was sie fühlen, wissen, verstehen, und auch durch das, was ihnen wichtig ist.

Für den Philosophen Christoph Türcke ist der Traum nicht nur das Tor zum Unbewussten: Die nächtlichen Phantasien erlauben auch Rückschlüsse auf die menschliche Frühzeit, in der das Bewusstsein entstand. Christoph Türcke erläutert: „Wir nehmen unerledigte Erregungen mit in den Schlaf und bearbeiten sie dort weiter. Nur bleibt uns vieles, was wir träumen, fremd. Das beunruhigt. Deshalb haben wir das unausrottbare Bedürfnis, Träume zu deuten.“ Träume sind seiner Meinung nach ebenso Rückstände von Früherem. Sigmund Freud nennt sie „primitive Denktätigkeit“. Er sagt nicht: Denken ist aus Träumen hervorgegangen, sondern Träumen ist selbst schon Denken.

Von Hans Klumbies