Das menschliche Denken ist ein Sinn

Das menschliche Denken ist ein Sinn. Markus Gabriel erläutert: „Unser Denksinn setzt uns in Kontakt mit einer Unendlichkeit an Möglichkeiten und Wirklichkeiten, den Sinnfeldern.“ Das Besondere am menschlichen Denksinn besteht darin, dass man mit einer beeindruckend hohen Auflösung die Tiefenstrukturen des Universums ausloten kann. Zudem kann man die Abgründe des Geistes, die Kunstgeschichte, Kreuzworträtsel und vieles Weitere erforschen. Das gelingt den Menschen deswegen, weil die Gegenstände des Denksinns insgesamt logisch strukturiert sind. Jeder Sinn hat spezifische Sinnesqualitäten, Qualia, die er direkt aufnimmt. Menschen hören Töne, sehen Farben, fühlen Wärme, denken Gedanken und so weiter. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Der Mensch kann die Gesetze des Universums erforschen

Die Qualia des Denksinns sind Begriffe, aus denen sich Gedankenerlebnisse aufbauen. Auf diese Weise leuchtet die Reichweite von Mathematik und mathematisierter Naturwissenschaften ein. Einer der größten wissenschaftlichen Durchbrüche aller Zeiten gelang Albert Einstein (1879 – 1955) durch seine Entdeckung der Relativitätstheorie. Sie beruht auf einem radikalen Umdenken bezüglich der räumlichen und zeitlichen Begriffe. Bewegung und Geschwindigkeit sind demnach relative Phänomene. Das bedeutet, dass es physikalisch gesehen nicht einfach nur Bewegung oder Stillstand, sondern immer nur Bewegung relativ zu einem Bezugssystem gibt.

Physikalische Einsichten beginnen heute auf Skalen, die man nur unter extremen mathematischen Bedingungen beschreiben kann. Diesen sind schier unvorstellbare Temperaturen, Massen, Entfernungen und so weiter zugeordnet. Markus Gabriel stellt fest: „Obwohl noch kein Mensch jemals unser Sonnensystem verlassen hat, können wir tief in den Kosmos blicken und seine Gesetze erforschen.“ Dabei stoßen die Menschen an Grenzen, die man ebenfalls mathematisch ausdrücken kann.

Albert Einstein revolutioniert das Denken

Zum Beispiel weiß man, dass die bekannte Materie gerade einmal vier Prozent des beobachtbaren Universums ausmacht. Um das Universum mittels theoretischer Physik und durch Experimente überhaupt erfassen zu können, benutzen Menschen ihren Denksinn. „Unser mathematisches Universum“, wie der am MIT forschende Physiker Max Tegmark dies nennt, ist für die klassischen Sinnesmodalitäten weitgehend völlig unzugänglich. Die Fortschritte der modernen Physik wurden immer durch mathematische Fortschritte vorbereitet beziehungsweise begleitet.

Das gilt nicht nur für die Infinitesimalrechnung, die Isaac Newton (1643 – 1727) zeitgleich mit Gottfried Wilhelm Leibniz entdeckt hat. Sondern das gilt insbesondere auch für die nicht euklidischen Geometrien, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurden. Sie spielten eine wichtige Rolle für Albert Einsteins Revolution der Denkart. Markus Gabriel erklärt: „Letztlich lag Platon richtig. Platon hatte nämlich die Idee der sogenannten Pythagoreer ausbuchstabiert, dass wir mathematische Strukturen mittels unseres Denkens vorfinden. Und diese nicht nur als nützliche Hilfsmittel zur Erforschung eines an sich gar nicht mathematischen Universums heranziehen.“ Quelle: „Der Sinn des Denkens“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies