Der erste deutsche Patriotismus war nicht politisch

Das Unheil, in welches sich die deutsche Nation in den Jahren zwischen 1933 und 1945 verrennen sollte, ist laut Thea Dorn nur zu begreifen, wenn man sich klarmacht, was in den Jahren um 1800 in Deutschland passiert ist. Die Patrioten der deutschen Aufklärung hielten ein politisch vereintes Deutschland für keine realistische Option. Ihr Idealismus hatte deshalb so milde, menschenfreundliche Züge, weil er im Kern unpolitisch war. Beim ersten deutschen Patriotismus hat es sich um keine genuin politische Bewegung gehandelt, die für ein konkretes nationalstaatliches Ziel gekämpft hätte. Sondern es ging ihr vor allem um die „Tugendhaftigkeit“ und um die „moralische Emphase“. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

Die Romantik riss die Kluft zwischen Kultur und Politik auf

Thea Dorn erläutert: „Die deutsche Tragödie nahm in dem Moment ihren Lauf, in dem sich dieser eigentümliche unpolitische Zug des Deutschen auch dann fortsetzte, als es um politische Auseinandersetzungen ging.“ Jenes unheilvolle Denken begann in der Epoche der Romantik. Dieses riss eine Kluft zwischen der Kultur auf der einen und der Politik auf der anderen Seite auf. Es trieb einen Thomas Mann im Ersten Weltkrieg dazu, ein politisch-essayistisches Werk unter dem trotzigen und süffisanten Titel „Betrachtungen eines Unpolitischen“ zu veröffentlichen.

Der Gegensatz von real existierender schlechter Staatsgesellschaft und imaginierter guter Volksgemeinschaft ist tief in der deutschen Geistesgeschichte verankert. Selbst ein brillanter analytischer Kopf wie Heinrich Heine war vor solchen Denkmustern nicht gefeit. Den fatalen deutschnationalen Sonderweg begreift man sich das komplizierte und verkorkste Verhältnis von Deutschland zu Frankreich vor Augen führt. Die wilde Achterbahn der deutsch-französischen Gefühle begann mit der Französischen Revolution. Sie wurde zum Inbegriff des nationalstaatlichen Aufbruchs in Europa.

Die Französische Revolution wurde auch vom deutschen Bürgertum begrüßt

Die Französische Revolution wurde zum Fanal der Emanzipation des Volkes gegen die feudalen Eliten. Deshalb wurde sie auch von weiten Teilen des deutschen Bürgertums begeistert begrüßt. Selbst der aggressive Imperator Napoleon wurde in deutschen Landen, vor allem in den Rheinlanden, anfangs nicht als unterdrückender Usurpator wahrgenommen. Er wurde vor allem als derjenige angesehen, der dem willkürlich zerfledderten Deutschland endlich ein vernünftige Gesetzbuch, den „Code civil“, bescherte.

Ins Anti-Napoleonische, das schnell zum Anti-Französischen wurde, kippte die Stimmung erst 1806 mit der verheerenden Niederlage der Preußen bei Jena und Auerstedt. Jenes militärische Debakel wurde zur Geburtsstunde der deutschen Befreiungskriege. Diese fanden 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig – zumindest aus deutscher Sicht – ihr triumphales Ende. In den Befreiungskriegen leckten auch die deutschen Dichter und Denker Blut. Reihenweise schlossen sie sich dem preußischen Landsturm oder dem Lützow`schen Freikorps an, um gegen den „Franzosen“, gegen alles „Welsche“ ins Feld zu ziehen. Quelle: „deutsch, nicht dumpf“ von Thea Dorn

Von Hans Klumbies