Ein Exkurs von Gordon A. Graig über die deutsche Sprache

Schöpfer der deutschen Sprache war, wie Heinrich Heine in seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ schrieb, Martin Luther. Dies ist für Gordon A. Craig keine Übertreibung, denn wie immer man Literatur der einzelnen deutschen Dialekte bewertet, die Basis für eine gemeinsame deutsche Literatur existierte erst, als der Mönch aus Wittenberg die Voraussetzungen dafür schuf. Seine Bibelübersetzung und seine politischen und theologischen Flugblätter waren eingebettet in eine neue Sprache von unvergleichlicher Klarheit und Fülle. Seine Wortwahl war kraftvoll und dennoch sensibel und gleichermaßen geeignet für die Erfordernisse von Darlegung und Argumentation sowie für Satire und Humor. Gordon A. Craig, der von 1913 bis 2005 lebte, war amerikanischer Historiker und Schriftsteller schottischer Herkunft. Er erhielt im November 1981 für sein Werk „Deutsche Geschichte 1866-1945“ den Historikerpreis der Stadt Münster.

Das Französische entwickelte sich zur Sprache der Kultur in Deutschland

Als die neue Druckereitechnik die Verbreitung der Schriften von Martin Luther in alle Teile Deutschlands ermöglichte, wurde sein Deutsch sehr schnell zur allgemeinen Literatursprache. Sein stilistischer Einfluss darf laut Gordon A. Craig bis zum heutigen Tag nicht unterschätzt werden. Durch die verheerenden Folgen der Religionskämpfe kam es allerdings in Deutschland zu einer Degeneration der Sprache. Außerdem drohte der französische Einfluss nach dem Westfälischen Frieden die kulturelle Unabhängigkeit der deutschen Staaten zu zerstören.

Das Französische entwickelte sich anschließend sehr schnell zur Sprache der Kultur in Deutschland. Ende des 17. Jahrhunderts war es Gottfried Wilhelm von Leibniz, der in Dingen der deutschen Kultur als einer ihrer Sprecher auftrat und in zwei bedeutenden Werken über die Sprache den Deutschen empfahl, sich von ausländischen Vorbildern dadurch zu befreien, dass sie ihre eigene Sprache zu einem für den ernsthaften Diskurs so brauchbaren Mittel machten, wie es das Französische war.

Johann Wolfgang Goethe vereinte und harmonisierte die sprachlichen Entwicklungen

Nachdem sich die deutsche Sprache gegen das Französische durchgesetzt hatte, verlieh ihr Johann Christoph Gottsched eine zusätzliche Stabilität durch seine Schrift: „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst, nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts abgefasset“. Johann Christoph Gottsched besaß laut Gordon A. Craig die Kühnheit, feste Regeln und Maßstäbe für den modernen Gebrauch der deutschen Sprache aufzustellen, und er versuchte die besten Aspekte des dialektalen Deutsch mit der Sprache hervorragender Schriftsteller zu kombinieren.

Gordon A. Craig vertritt die Meinung, dass es allerdings Johann Wolfgang Goethe vorbehalten war, alle sprachlichen Entwicklungen des vorangegangenen Jahrhunderts zu vereinen und zu harmonisieren. Johann Wolfgang Goethe war fest davon überzeugt, dass die Sprache, wenn sie lebendig bleiben soll, immer wieder zur Auffrischung zu ihrer Vergangenheit zurückkehren muss. Gordon A. Craig schreibt: „Nach „Wilhelm Meister“ brauchte niemand mehr das Gefühl haben, die deutsche Sprache sei der eines seiner Nachbarn in irgendeiner Weise, in Ausdruckskraft oder Schönheit, unterlegen.“

Von Hans Klumbies