Ironie setzt das geschärfte Bewusstsein eines Konflikts voraus

Die großen Ironiker wie Sokrates, Michel de Montaigne, Alfred de Musset und Heinrich Heine treten laut Henri Lefebvre in unruhigen, gestörten Zeitläufen auf, wenn sich die Menschen in ihrem Umkreis bedeutsamen Angelegenheiten widmen, wenn die Zukunft von großen Entscheidungen abhängt, wenn enorme Interessen im Spiel sind und die Menschen der Tat sich rückhaltlos in den Kampf begeben. Henri Lefebvre fügt hinzu: „Dann genau zieht der Ironiker sich auf sich selbst zurück, ohne sich freilich für immer einzuigeln.“ Er besinnt und stärkt sich nur, um anschließend dach draußen zum Publikum zurückzukehren, um die Akteure des Kampfes zu befragen, ob sie wirklich wissen, warum sie ihr Leben aufs Spiel setzen. Der Ironiker erkennt als erster die Grenzen der aufgebotenen Interessen und die Chancen der vorliegenden Taktiken.

Sokrates und Søren Kierkegaard wenden unterschiedliche Formen der Ironie an

Im Protest gegen das Äußere und Fremde nimmt der Ironiker zunächst den Kampf auf gegen die Welt, gegen die anderen, gegen die bestehende Gesellschaft. Er ficht sie an und weist sie zurück im Geiste. Protestiert er dagegen aus seinem eigenen Denken und Bewusstsein heraus, kehrt er laut Henri Lefebvre seine tödlich verletzte und grausame Kraft gegen sich selbst. Er verweigert sich, und um sich zu verweigern, widerlegt er die Welt und die Gesellschaft, der ihr angehört. Bei Sokrates zum Beispiel geht die Ironie von innen nach außen, nimmt Abstand vom Außen, um es zu beurteilen und zu richten.

Søren Kierkegaard zählt Henri Lefebvre zählt zu den romantischen Ironikern, dessen Ironie das Draußen nur mittelbar in Frage stellt, ausgehend von der Anstrengung des Ichs, mehr sein zu wollen als es ist, nämlich das Absolute, und die unerschöpfliche Subjektivität zu bestätigen. In beiden Fällen setzt die Ironie freilich das geschärft Bewusstsein eines Konflikts voraus. Henri Lefebvre ergänzt: „Mehr als diesen zu lösen strebt sie danach, dieses Bewusstsein und den Konflikt selbst zuzuspitzen.“

Henri Lefebvre vergleicht die Ironie mit dem Humor

Laut Henri Lefebvre berührt sich die Ironie zwar mit dem Humor, vermischt sich allerdings nicht mit ihm. Der Humor glättet eine Situation und verschwindet anschließend wieder. Ihm gelingt es beinahe die langweilige Alltäglichkeit zu verwandeln. Henri Lefebvre schreibt: „Zwar verändert er sie nicht, aber er steckt ihr Lichter auf.“ Hin und her gerissen zwischen Komfort und Langeweile finden die Menschen durch den Humor eine gewisse Erleichterung. Der Humor löst eine Konfliktsituation, indem er sie löst, und zugleich nicht.

Die Ironie dagegen würde einer Konfliktsituation noch schärfere Konturen geben. Sie würde den erbärmlichen Zustand all der vielen braven Leute sichtbar machen, die scheinbar alles zum Glücklichsein haben – Komfort, die mannigfachen Befriedigungen – und die sich gleichwohl langweilen, nicht ohne das lebhafte Gefühl freilich, dass dies ungerecht sei. Außerdem nähert sich die Ironie zuweilen dem Sarkasmus, unterscheidet sich jedoch deutlich vom Esprit.

Kurzbiographie: Henri Lefebvre

Henri Lefebvre, der von 1901 bis 1991 lebte, war ein marxistischer Soziologe, Intellektueller und Philosoph. Lage bevor es Mode wurde, die Probleme des Alltagslebens auch für die Theorie der Philosophie, Soziologie und Ästhetik zu reklamieren, hat Henri Lefebvre die Dialektik zwischen Überbau – Kultur, Wissenschaften, Recht, Religion – und der Alltagswelt der Menschen zum Gegenstand der wissenschaftlichen Beobachtung gemacht.

Ein der aufschlussreichsten Arbeiten auf diesem Gebiet ist sein Buch „Einführung in die Modernität“ indem er Ideen, Symbole, menschliche Ausdrucksweisen und Einstellungen betrachtet, die das mitkonstituiert haben, was heute moderne Gesellschaft heißt. Henri Lefebvre zeigt einen Zusammenhang zwischen Handlungen und Problemen auf, in dem die Menschen sich wiedererkennen und der die Findung ihrer Identität ebenso wie ihre Deutung der Welt bestimmt.

Von Hans Klumbies