Heinz Bude stellt fest: „Für die gerechte Gesellschaft gibt es kein Bild mehr, an dem man sich mit Aristoteles oder Thomas von Aquin orientieren könnte.“ Dabei handelt es sich um eine komplexe Gefügeordnung von Gruppen mit jeweils bestimmten Aufgaben oder eine einsichtige Stufenordnung der Welt. Diese ist auf eine Idee von Erlösung ausgerichtet. Das Befinden über Gerechtigkeit folgt einem Verfahren, für das man ideale Bedingungen einer unparteilichen Beurteilung festlegt. Unter einem moralischen Gesichtspunkt kann man dann genau diejenigen Normen als gültig auszeichnen, die alle wollen könnten. Das könnten beispielsweise Bestimmungen über die Symmetrie von Einkommen sein. Aber auch Regelungen über Determinanten gefährdeter Lebenslagen oder über Ausgleichszahlungen für genau definierte Risikogruppen. Seit dem Jahr 2000 ist Heinz Bude Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.
Jeder soll nach der eigenen Fasson glücklich werden
Vor diesem Hintergrund verleiht der Staat den Staatsbürgern subjektive Rechte. Und er trägt dafür Sorge, dass wirklich jede, jeder und jedweder ihr und sein gutes Recht bekommt. Das Eigentum ist geschützt, auch wenn man kein netter Vermieter ist. Die Meinungsfreiheit ist garantiert, auch wenn es dem Nachbarn nicht passt, was man zum Beispiel über Soldaten sagt. Außerdem hat jeder Staatsbürger Anspruch auf eine Mindestsicherung seines Lebensunterhalts.
Heinz Bude fügt hinzu: „Der Staat geht sogar so weit, dass er meine negative Freiheit verbürgt, mich gegen staatliche Zumutungen zu wenden, auch wenn sie angeblich dem Gemeinwohl dienen.“ Absolute Priorität haben die Ermöglichung und der Schutz der individuellen Willkür. Denn das bedeutet die Freiheit, nach der eigenen Fasson glücklich zu werden. Gerecht ist das alles, weil der Staat sowohl bei der Begründung wie bei der Anwendung der Gesetze den Prinzipien der intersubjektiven Gleichbehandlung wie der weltanschaulichen Neutralität gehorcht.
Das einzelne Individuum steht an erster Stelle
Nichts darf zur Maxime staatlichen Handelns werden, bei dem Zweifel bestehen, ob eine gesetzliche Regelung nicht bestimmte Gruppen von Personen grundlos ausschließt. Oder ob eine gesetzliche Formulierung nicht den Auffassungen nur einer bestimmten Gruppe von Personen nachkommt. Darüber urteilt in Deutschland zuletzt das Bundesverfassungsgericht. Gerechtigkeit walten zu lassen heiß, unparteilich zu prüfen, welche Handlungsweise als allgemeine Praxis gelten kann.
Und unter welchen Voraussetzungen gültige Prinzipien und Regeln auf konkrete Fälle unvoreingenommen angewendet werden können. Eine solche Praxis der Gerechtigkeit, die staatliche Stellen verordnen und überwachen, kann nicht das letzte Wort zur Sache der gerechten Gesellschaft darstellen. Die Frage des gerechten Zusammenlebens ist von der Frage des belastbaren Verbundenseins in Wirklichkeit nicht zu trennen. Emmanuel Lévinas sagt: „Man tut für das Gerechte nichts, wenn man vergisst, sich dem einzelnen Individuum zuzuneigen.“ Quelle: „Solidarität“ von Heinz Bude
Von Hans Klumbies