In einem Staat entscheidet die Kommunikation

Das deutsche Volk ist, wie jedes andere Volk, vor allem eine Lebensgemeinschaft, eine Kommunikationsgemeinschaft und eine Haftungsgemeinschaft. Die Kinder von Türken und anderen Ausländer sind im Allgmeinen keine deutschen Staatsbürger. Selbst dann, wenn sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Aber sie gehören zweifellos zur Kommunikationsgemeinschaft der Deutschen, weil sie mit ihnen und in Deutschland leben. Herkunft, Sprache oder auch die gemeinsame Geschichte gehören nicht mehr unbedingt zu den Kennzeichen der jeweiligen Gemeinschaft im Staat. Michael Wolffsohn ergänzt: „Doch dieser Staat bleibt trotz aller internationalen Verflechtungen der entscheidende Bezugspunkt der Kommunikation.“ Wenn etwas Erfreuliches passiert, stößt sich niemand an der gemeinsamen Haftungsgemeinschaft. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

Deutschland ist von einer Multiidentität geprägt

Mit der geschichtlichen Haftung dagegen tut sich jedes Volk schwer, auch das deutsche Volk. Die heutige Gemeinschaft in Deutschland, das deutsche Volk, ist inzwischen noch weniger einheitlich, als es je war. Wer dies nicht erkennt, ist blind für die gesellschaftliche und historische Wirklichkeit. Was tun? Das deutsche Volk muss, wie viele andere westeuropäischen Völker, seine neue Multiidentität als Realität wahrnehmen, also zunächst erkennen, beschreiben und bestimmen.

Zunächst einmal müssen innere Bindemittel, freilich nicht für alles und jedes entwickelt werden. Sie schaffen und stärken die innere Verbindung im Volk sowie zwischen Volk und Staat und Nachbarstaaten. Michael Wolffsohn warnt: „Ohne diese inneren Bindemittel zerbröselt die Gemeinschaft eines jeden Volkes.“ Dabei müssen diejenigen mit traditioneller deutscher Herkunft wissen, was ihr geschichtliches, konfessionelles und kulturelles Erbe ist. Zudem müssen sie sich darüber klar werden, was sie bewahren und was sie verändern wollen.

Jeder muss sein Erbe annehmen

Michael Wolffsohn spricht im Klartext: „Sie müssen ihre Wurzeln kennen, nicht zuletzt ihre Geschichte; Licht und Schatten ihrer Geschichte; beides gibt es.“ Der traditionelle geistige und geistliche Kern des deutschen Volkes droht zu zerbröseln. Das gilt zumindest in Bezug auf die konfessionellen und christlichen Grundlagen. Konfessionelle Fragen sind moralische Seinsfragen. Sie geben laut Michael Wolffsohn dem Dasein Sinn und sind der zivilisatorische Kitt einer Gesellschaft.

Nur wer Wurzeln hat, kann sich selbst annehmen, persönlich und kollektiv, national und konfessionell. Wer sein geistiges und geistliches Erbe vernachlässigt und lässig verspielt, schafft sich selbst die eigene Leer und hat keine Wurzeln. Wie ein wurzelloser Baum fällt auch jeder wurzellose Mensch – jede wurzellose Gesellschaft. Es bedarf dazu keines Sturms, ein Windhauch genügt. Wer sich selbst und sein inneres Erbe nicht annimmt, ist weder innen- noch außenpolitisch friedensfähig. Denn wie soll und kann man andere lieben, wenn man schon sich selbst nicht liebt oder gar verabscheut? Quelle: „Tacheles“ von Michael Wolffsohn

Von Hans Klumbies

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