Populisten simplifizieren die Welt

Jan-Werner Müller stellt fest: „Der Populismus ist nicht alleine verantwortlich für Spaltungen in der Gesellschaft. Allerdings setzen die Populisten Polarisierung als ihre Schlüsselstrategie ein.“ Sie versuchen, das politische Gemeinweisen in homogene Gruppen aufzuspalten. Und dann insinuieren sie, dass einige Gruppen grundsätzlich irgendwie illegitim sind oder gar eine existenzielle Bedrohung darstellen. Populisten gehen nicht davon aus, dass die politische Welt durch Identitäten und Interessen gekennzeichnet ist, die sich zum Teil auch quer durch gesellschaftliche Gruppen ziehen. Sie simplifizieren die Welt und stellen die Behauptung einer zentralen Spaltung auf, die zudem von existenzieller Bedeutung sei. Ein Sieg der gegnerischen Seite interpretiert man nicht als zeitweilige Niederlage, sondern als eine grundsätzliche Bedrohung des gesamten Gemeinwesens. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

Die Polarisierung ist menschengemacht

Entgegen mancherlei Klagen vor allem in den USA ist Polarisierung nicht gleichsam im Menschen verdrahtet. Das menschliche Gehirn ist nicht einfach auf Tribalismus programmiert. Jan-Werner Müller betont: „Polarisierung hat eine Geschichte, sie ist menschengemacht, aber nicht unentrinnbares menschliches Schicksal. Allerdings gilt auch: Wer von Polarisierung profitiert, der hat in stark zersplitterten Gesellschaften sicher leichteres Spiel.“ Auch Populisten können nicht alle Konflikte frei erfinden.

Warum sind Gesellschaften heute auf bestimmte Weise zersplittert? Warum fällt es ihnen schwer, Einigkeit darüber zu erzielen, was das Volk ist und warum sie überhaupt zusammenleben? Eine konventionelle Antwort verweist auf die wachsende Zahl von Flüchtlingen und Immigranten in diversen Ländern. Es gibt bekanntlich auch mehr oder weniger empirisch begründbare Ängste hinsichtlich eines angeblichen demografischen Niedergangs und insbesondere vor einer Veränderung der ethnischen Zusammensetzung. Denn die Geburtenraten verschiedener ethnischer Gruppen unterscheiden sich beträchtlich.

Wahlslogans entscheiden kaum Wahlen

Diese Antworten sind indessen für Jan-Werner Müller allzu simpel. Auch sie unterstellen, dass eine einzelne politische Herausforderung die politischen Spaltungen innerhalb der Gesellschaft mehr oder weniger objektiv vorgibt. Meist werden der Brexit und Donald Trump gemeinsam genannt, wenn es darum geht, den Aufstieg oder die schiere politische Macht des Populismus zu illustrieren. Ein seltsamer Umstand wird dagegen nur selten bemerkt. Die Kampagnen, die sich für Hillary Clinton beziehungsweise für den Verbleib in der EU einsetzten, griffen zu ähnlich klingenden politischen Slogans.

Sie lauteten „Gemeinsam stärker“ und „In Europa stärker“ und scheiterten in weiten Teilen der Wählerschaft spektakulär. Jan-Werner Müller erklärt: „Offenbar hatte eine beträchtliche Zahl von Bürgern das Gefühl, gerade ohne solche Gemeinsamkeit stärker zu sein.“ Man sollte diese Koinzidenz sicher nicht überbewerten, zumal auch noch so raffinierte Wahlslogans wohl kaum Wahlen entscheiden. Es ließe sich darin jedoch ein Hinweis auf eine neue Unsicherheit erkennen. Heute ist es sehr fraglich geworden, was „gemeinsam“ überhaupt bedeuten soll. Quelle: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ von Jan-Werner Müller

Von Hans Klumbies