Die absolute Wahrheit gibt es nicht

Absolute Wahrheit mag ein möglicher Gedanke sein, doch er erreicht und berührt die Menschen nicht. Eben weil er in ihrer immer endlichen Perspektive – in ihrem individuellen Leben – keine sie persönlich betreffende Rolle spielt und spielen kann. 1+1=2 lässt sie vollkommen kalt. Peter Trawny ergänzt: „Selbst, wenn ein Leben ohne Rechnen denkbar ist, habe ich keine persönliche Beziehung zu ihm.“ Sind die Menschenrechte eine solche absolute Wahrheit, da sie für jeden Menschen als solchen gelten, so ist doch bis heute offenbar, wie unbedeutend sie sind. Wenn es Menschenrechte gibt, dann müssen diese mit einer Welt zusammenhängen, in der die Menschen wirklich und wahrhaftig leben. Sie müssen also Mitglieder einer Gemeinschaft sein, die für diese Menschen einzutreten in der Lage ist. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.

Die Menschenrechte treten im Namen der Vernunft auf

Es ist für Peter Trawny demnach nicht zu bestreiten, dass man Wahrheiten so formulieren kann, als überstiegen sie Zeit und Raum, als würden sie immer und überall gelten. Doch daraus abzuleiten, sie hätten für einen Menschen und sein Leben wie für jedes andere Leben und überall eine Bedeutung, ist falsch. Man lebt mit faktisch existierenden Menschen in einer spezifischen geschichtlichen Wirklichkeit. Diese entfaltet konkrete Lebensstile, in denen man denkt und handelt.

Peter Trawny fügt hinzu: „Wahrheiten, die mich erreichen, müssen mit diesem Lebensstil zusammenhängen, müssen in ihm vorkommen.“ Die Menschenrechte treten auf im Namen der Vernunft. Dass diese eine universalten Geltungsanspruch erhebt, ist bekannt. Das anspruchsvolle Konzept stammt aus der europäischen Aufklärung, die gerade in moralischer Hinsicht christliche Motive in sich aufgenommen hat. Die „Europäisierung der Menschheit“ hat sich technisch-ökonomisch spätestens am Ende des 20. Jahrhunderts vollendet.

Es gibt keine neue Aufklärung

Keine Frage, dass die Errungenschaften der Aufklärung den Lebensstil vieler Menschen durchdringen. Selbstbestimmung, Emanzipation, Gleichberechtigung und Weltbürgertum sind Merkmale des mitteleuropäischen Lebens. Peter Trawny stellt fest: „Wir denken und behaupten, in einer offenen und gerechten Gesellschaft zu koexistieren. Ihre Institutionen funktionieren und verleihen ihr Stabilität. Die soziale Ungleichheit ist einigermaßen weit von jener kritischen Masse entfernt, die Gesellschaften zerreißt.“

Der europäische Stolz auf die Vernunft blickt auf eine Welt, die ihre moralischen und politischen Postulate vernimmt. Aber sie fügen sich dennoch nicht in ihren Lebensstil. Es gibt keine Idee, die ihre historischen und kulturellen Bedingtheiten übersteigen könnte. Peter Trawny betont: „Wenn zeitgenössische oder zeitgemäße Philosophen von einer neuen Aufklärung reden, dann ist das eine philosophische Bankrotterklärung. Auch deshalb übrigens, weil wir die ganze Problematik der alten noch nicht verstanden haben.“ Quelle: „Krise der Wahrheit“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies