Auch künftige Menschen wollen gut leben

Künftige Menschen zählen. Es kann möglicherweise sehr viele von ihnen geben. Und die heute lebenden Menschen können einen Beitrag dazu leisten, dass sie gut leben. William MacAskill erläutert: „Das ist in aller Kürze ein Plädoyer für langfristiges Denken. Die Prämissen sind einfach und nicht besonders strittig. Doch wenn wir sie ernst nehmen, wäre das nicht weniger als eine moralische Revolution.“ Das hätte weitreichende Folgen für das Denken und Handeln von Aktivisten, Forschenden, Politikern, eigentlich für alle Menschen. Künftige Menschen zählen, doch man rechnet sie nur selten mit ein. Sie können nicht wählen und haben keine Lobby. Deshalb haben Politiker keinen Anreiz, sie mit einzubeziehen. Ebenso wenig sind sie auf dem Markt anzutreffen, und deshalb können sie auch nicht mit den heute lebenden Menschen verhandeln. William MacAskill ist außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Oxford.

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Die klassische Antike „erfindet“ das Individuum

Selbstverständlich gab es auch schon vor der Renaissance die Entdeckung und Wertschätzung des Einzelnen. Larry Siedentop etwa verlegt die „Erfindung des Individuums“ in die klassische Antike Griechenlands. Rüdiger Safranski ergänzt: „Bereits dort beobachtete er, dass Individuen ganz besonders geschätzt werden: Es gibt sie nicht einfach, es soll sie geben. Es finden sich nicht nur einfach Unterschiede zwischen ihnen, sondern es ist gut, dass es Unterschiede gibt.“ Und es ist noch besser, wenn es möglichst viele davon gibt. Es handelt sich dabei um die entfaltete Vielfalt als Ziel, viele Einzelne, die in ihrer jeweiligen Einzelheit sichtbar bleiben. Über lange historische Wegstrecken und in vielen Kulturräumen war und ist das gesellschaftliche Zusammenleben so organisiert, dass die Individualität in der Regel in den kollektiven Verbänden verschwindet. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Das Mitleid ist der Kern des Gewissens

Das Mitleid gibt laut Jean-Jacques Rousseau allen Menschen anstelle jener erhabenen Maxime, der durch die Vernunft gestifteten Gerechtigkeit, eine Maxime der natürlichen Güte ein. Diese ist viel weniger vollkommen, aber vielleicht nützlicher als die vorangehende. Jean-Jacques Rousseau fordert: „Sorge für dein Wohl mit so wenig Schaden für andere wie möglich.“ Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Nicht Immanuel Kants verkopfter kategorischer Imperativ, sondern das natürliche Gefühl des Mitleids ist der Kern des Gewissens und macht aus einem Menschen ein moralisches Wesen.“ In einer seiner Schriften führt Jean-Jacques Rousseau den Begriff der „Selbstliebe“ ein. Die Selbstliebe ist für ihn eine Grundbedingung dafür, dass ein Mensch seine Emotionen überhaupt positiv auf andere richten kann. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Die Täuschung setzt eine Rücksichtnahme auf andere voraus

Täuschungen erfüllen eine wichtige soziale Funktion. Von ihnen kann sogar eine beträchtliche zivilisierende Wirkung ausgehen. Robert Pfaller zieht eine wichtige Schlussfolgerung über die Rolle der Täuschung innerhalb der Kultur: „Die Täuschung setzt eine Rücksichtnahme auf den anderen voraus. Um jemanden täuschen zu können, müssen Sie sich ein Bild von den Wünschen und Erwartungen des anderen gemacht haben.“ Um die Wahrheit zu sagen, braucht man das hingegen nicht. Da muss man sich nur mit dem Sachverhalt beschäftigen, den man beschreibt, nicht aber mit der Person, zu der man spricht. Die Wahrhaftigkeit ist also oft nicht mehr als eine Form der Bequemlichkeit. Man erspart es sich einfach, sich mit dem anderen zu beschäftigen, mit dem man kommuniziert. Prof. Dr. Robert Pfaller lehrt Philosophie an der Kunstuniversität Linz.

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Silvio Vietta stellt Jean-Jacques Rousseau vor

Selten kann man bei der Lektüre eines Theoretikers so direkt der Geburt einer radikal neuen und zugleich schrecklichen Staatstheorie beiwohnen. Es ist der totalitär-egalitäre Staat, den Jean-Jacques Rousseaus „Contrat“ gebiert. Und damit den Terreur der französischen Revolution ebenso wie den Terror der totalitären kommunistischen Regimes. Sie alle konnten sich auf Jean-Jacques Rousseau berufen. Sie taten dies auch zum Teil bei der Realisierung ihres schrecklichen Regimes als Ausdruck einer idealistischen Idee. Silvio Vietta weiß: „Gegen den totalitären Staat mit dem höchst moralischen Anspruch hat der einzelne Bürger wenig Chancen.“ Weil eben der Staat mit Jean-Jacques Rousseau ja immer beanspruchen kann, das „Gemeinwohl“ zu vertreten. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Einst war Gott für das Schicksal verantwortlich

Wer hätte nicht schon mal versucht, dem Masterplan des Lebens auf die Spur zu kommen, dem Schicksal, dem Nicht-Wählbaren, dem Kontingenten? Fragen zu klären wie: Warum geschieht gerade dies mir, uns, ihnen? Der Mensch ist ein Warum-Wesen. Reinhard K. Sprenger erläutert: „Er sucht für jedes Phänomen eine Erklärung, eine Ordnung. Eine Ur-Sache. Und wenn er sie nicht findet, er-findet er eine.“ Früher war diese Ursache einsilbig: Gott. Wenn die Ernte ausblieb – Gott will uns strafen. Starb jemand zu früh – Gottes Wille. Hatte man Glück – Gott hat Gnade walten lassen. Den Extremfall etikettierte man als „Jüngsten Tag“. Man verbeuge sich vor dem Göttlichen, dem Unabänderlichen, was ein Mensch ist und wie ihm geschieht. Reinhard K. Sprenger, promovierter Philosoph, ist einer der profiliertesten Führungsexperten Deutschlands.

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Gutem Verhalten geht eine „schwierige Freiheit“ voraus

Der litauisch-französische Philosoph Emmanuel Lévinas hat einige wunderschöne Seiten über die „schutzlose“ menschliche Haut geschrieben. Charles Pépin erklärt: „Unsere Haut ist viel dünner als die der anderen Säugetiere. Es ist gar nicht so schwer – zumindest materiell gesprochen –, einen Menschen zu töten.“ Das erste moralische Gebot „Du sollst nicht töten“ hat erst dann einen Sinn, wenn der Andere als Gegenüber wirklich anwesend ist. Nur dann wendet er einem Anderen sein Gesicht zu und macht ihn für sein Überleben verantwortlich. Emmanuel Lévinas bezeichnet diese Verantwortung sogar als Geiselschaft. Man kann es sich jetzt nicht mehr aussuchen und hat die Pflicht, sich um den Anderen zu kümmern. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Liberale Demokratien verfügen über eine dauerhafte Stärke

Die Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Impulse für 2024“ enthält ausgesuchte Essays und Gespräche zu den großen Fragen unserer Zeit. Die Rubrik „Eine neue Weltordnung“ beinhaltet ein Gespräch mit Francis Fukuyama über schwache Diktatoren, robuste Demokratien und die Gefahr der Spaltung. Der berühmte Politikwissenschaftler vertritt die Meinung, dass die liberalen Demokratien über eine dauerhafte Stärke verfügen, wohingegen autoritäre Regime Schwächen haben. Francis Fukuyama erläutert: „Sie haben das Problem, dass ein Alleinentscheider an der Spitze steht. Die Machtkonzentration führt zu Fehlentscheidungen, die katastrophal sein können.“ Der russische Überfall auf die Ukraine hat vielen Menschen die Augen geöffnet. Die Bevölkerungen in liberalen Demokratien erkennen plötzlich, dass ihr Frieden und ihre Sicherheit nicht selbstverständlich sind. Für Francis Fukuyama ist der Zustand der liberalen Demokratien insgesamt dennoch nicht so schlecht.

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Veränderungen erzeugen zunächst Unbehagen

Jede Form der Veränderung geht zunächst mit einem Unbehagen einher. Emanuele Coccia kritisiert: „Wir haben Bewegung und Wandel zu Fetischen gemacht. Dabei ist alles so angelegt, Bewegung unmöglich zu machen.“ Viele Menschen streben danach, sich fortzubewegen und ihre Stellung in der Gesellschaft zu verändern. Manche möchten auch an einen anderen Wohnort ziehen, von einem Zustand in einen anderen wechseln. Doch all diese Veränderungen sind eine Illusion. Man verschiebe das Leben nur in ein neues Dekor. Die Globalisierung verspricht eine sagenhafte Mobilität in der Geschichte der Menschheit. Fieberhaft wechseln viele Menschen die Orte, sind und bleiben aber alle, wer sie waren. Die Reichen bleiben reich, die Armen haben nicht mehr Chancen am Ziel als am Start. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Die Wahrheit stabilisiert das Leben der Menschen

Hannah Arendt hält wie Martin Heidegger an der terranen Ordnung fest. So beschwört sie oft Halt und Dauer. Byung-Chul Han fügt hinzu: „Nicht nur Weltdinge, sondern auch die Wahrheit haben menschliches Leben zu stabilisieren. Im Gegensatz zur Information besitzt die Wahrheit eine Festigkeit des Seins.“ Dauer und Beständigkeit zeichnen sie aus. Wahrheit ist Faktizität. Sie leistet jeder Veränderung und Manipulation Widerstand. So bildet sie das Fundament der menschlichen Existenz. Hannah Arendt schreibt: „Wahrheit könnte man begrifflich definieren als das, was der Mensch nicht ändern kann. Metaphorisch gesprochen ist sie der Grund, auf dem wir stehen, und der Himmel, der sich über uns erstreckt.“ Bezeichnenderweise siedelt Hannah Arendt die Wahrheit zwischen Erde und Himmel an. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Die Redefreiheit hat sich als robust erwiesen

Jonathan Rauch ist kein Alarmist. Ganz im Gegenteil, er schreibt sein Buch „Die Verteidigung der Wahrheit“ in einem Geist der Hoffnung und des vorsichtigen Optimismus. Denn in der digitalen Medienwelt geht man mit beeindruckendem Engagement und neuen Ansätzen gegen Desinformationsangriffe vor. Und der Feind hat nicht mehr den Vorteil der Überraschung auf seiner Seite. Jonathan Rauch ergänzt: „In der akademischen Welt gibt es immer noch große Bestände von wissenschaftlicher Integrität, die man anzapfen kann. Die heutigen Herausforderungen für die Verfassung der Erkenntnis sind unter historischen Gesichtspunkten betrachtet vergleichsweise harmlos. Das eigentliche Wunder ist, als wie robust sich die Redefreiheit und die liberale Wissenschaft erwiesen haben. Jonathan Rauch studierte an der Yale University. Als Journalist schrieb der Politologe unter anderem für das National Journal, für The Economist und für The Atlantic.

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Es gibt einen moralischen Kompass

Wie Menschen eine Sachlage beurteilen und wie sie sich in einer gegebenen Situation fühlen, gehört zum moralischen Nachdenken. Markus Gabriel erläutert: „Die universalen Werte nehmen uns unsere konkreten Entscheidungen nicht ab. Der moralische Kompass zeigt uns auf, in welche Richtung wir gehen sollen. Die einzelnen Schritte müssen aber immer noch wir als immer auch irrtumsanfällige Individuen gehen.“ Ansonsten wäre man nicht frei, denn das eigene Handeln wäre sozusagen durch die moralischen Kräfte der universalen Werte vorbestimmt. Die Grundthese des moralischen Realismus besagt in diesem Zusammenhang, dass Wertvorstellungen wahr oder falsch sein können. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der Mensch versteht sich als offenes Wesen

Was ist der Mensch? In dieser Frage laufen nach Immanuel Kant die Grundlinien der Philosophie, der Religion und der Moral zusammen. Seit der Renaissance versteht sich der Mensch als prinzipiell offenes Wesen. Nämlich nicht nur tendenziell frei gegenüber der Welt, sondern auch frei sich selbst gegenüber. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Friedrich Nietzsche steht, wenn auch kritisch, in dieser Tradition. Er treibt sie weiter, spitzt sie zu, entkleidet sie jedoch vom Pathos der Würde.“ Der Mensch: Das ist, wie Nietzsche sich einmal notierte, „das noch nicht festgestellte Thier“. Im „Antichrist“ resümierte Nietzche seine Position. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Gerhard Gleißner erklärt den Aufbau der Stoa

Die gesamte Lehre der Stoa umfasst neben der Ethik auch noch die Bereiche der Logik und der Physik. Gerhard Gleißner erläutert: „Die Logik beschäftigte sich mit dem vernünftigen, folgerichtigen Denken, um dadurch neue Erkenntnisse zu gewinnen und Fortschritte zu erzielen.“ Zum anderen sollte man die erworbenen Einsichten und Erkenntnisse ja auch den anderen Menschen mitteilen und vermitteln können. Dafür waren vernünftige sprachliche – rhetorische – Fähigkeiten sehr wichtig. Die Physik versuchte, den Aufbau der Welt beziehungsweise des gesamten Kosmos zu erklären. Anders als bei der heutigen Naturwissenschaft spielte hier zusätzlich die Theologie mit hinein. Die Stoiker bezeichneten diesen Gesamtzusammenhang als „logos“ – Wort, Sinn, Vernunft. Der „logos“ entspricht einer übergeordneten Einheit, auf die alles zurückgeht. Somit haben logische Gesichtspunkte in der stoischen Physik einen festen Platz. Dr. med. Gerhard Gleißner ist seit 2014 als Amtsarzt und Gutachter im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig.

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Die Welt ist nicht zu hart

Friedrich Nietzsche schreibt in seinem Werk „Ecce Homo“: „Der wohlgeratene Mensch errät Heilmittel gegen Schädigungen. Er nützt schlimme Vorfälle zu seinem Vorteil aus. Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker.“ Dieselbe Widerstandskraft erwartet man auch von seinen Mitbürgern. Denn nur ein resilientes Ich, das an Krisen wächst und sich gegen die Wechselfälle des Lebens zu wappnen weiß, ist im Privat- wie Berufsleben verlässlich und letztlich auch für eine Demokratie unentbehrlich. Svenja Flaßpöhler weiß: „Oder wie sonst ließen sich vernünftige Entscheidungen treffen und harte Debatten führen?“ Wie sonst könnte man zielorientiert in die Zukunft blicken, wenn man bei eigenem oder fremdem Leid sofort in Tränen ausbricht und alles persönlich nimmt? Nein, die Welt ist nicht zu hart. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“.

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Die Alltagssprache besitzt Vielfalt und Reichtum

Axel Braig stellt fest: „Ludwig Wittgenstein erläutert den Gegensatz zwischen der Vielfalt und dem Reichtum der Alltagssprache und der Eindimensionalität der künstlichen Sprache.“ Er schreibt: „Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt. Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten. Und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.“ In einem anderen Zusammenhang verwendet Ludwig Wittgenstein ein ähnliches Bild: „Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennts dich aus. Du kommst von einer anderen zur selben Stelle, und du kennst dich nicht mehr aus.“ Axel Braig wandte sich nach Jahren als Orchestermusiker und Allgemeinarzt erst spät noch einem Philosophiestudium zu.

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Die Postmoderne verursacht alle Übel

Die Postmoderne ist an allem schuld. Denn sie ist der Ausgangspunkt für die Übel der Gegenwart, für die vier apokalyptischen Reiter Konstruktivismus, Relativismus, Moralismus und Identitätspolitik. Daniel-Pascal Zorn erklärt: „Für die Postmoderne ist die reale Welt nur eine Konstruktion. Nämlich ein Effekt von Machtansprüchen und anonymen Strukturen, der keinen Zugriff auf eine gemeinsame Wirklichkeit mehr erlaubt: Konstruktivismus.“ Hier gibt es keine Wahrheit mehr, nur noch relative Meinungen, die versuchen, sich gegen andere Meinungen durchzusetzen: Relativismus. Weil man dabei keine verbindlichen Maßstäbe mehr akzeptiert, ersetzt man Fakten und Tatsachen durch fiktive Vorstellungen und gedankliche Konstrukte. Deshalb gelingt die Durchsetzung von Meinungen nur noch mit moralischer Erpressung: Moralismus. Daniel-Pascal Zorn studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. Seit 2021 ist er Geschäftsführer des Zentrums für Prinzipienforschung an der Bergischen Universität Wuppertal.

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Die Pluralität der Meinungen führt zur Wahrheit

Orientiert man sich an Sokrates, so liegt die besondere Stellung des Philosophen gerade nicht in einem gegenüber dem Feld der Meinung substanziell verschiedenen Zugang zur Wahrheit. Auch er kann schließlich die Bedingung der Endlichkeit nicht überwinden. Sie liegt vielmehr in einer Bereitschaft zur staunenden Infragestellung der eigenen Überzeugungen. Nur wenn man die Pluralität der Meinungen selbst vergleicht, kann man allein die Wahrheit erschließen. Und dies immer wieder neu. Juliane Rebentisch erläutert: „Denn in ihrer Abhängigkeit vom Abgleich der Perspektiven muss die Wahrheit geschichtlich und also als fallibel gedacht werden.“ Laut Sokrates besteht die Rolle des Philosophen nicht darin, den Staat zu regieren, sondern dessen Bürger permanent zu irritieren. Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

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Vertrauen gewährt eine anerkannte Freiheit

Die Moralphilosophin Annette Baier hat einmal bündig definiert, Freiheit heiße, mit Hilfe des anderen auf sich selbst gestellt oder unbewacht sein zu können. Als Freiheitsdefinition wäre das wohl zu heikel. Denn klar ist, dass der, dem man Vertrauen schenkt, nur frei ist, weil man es ihm schenkt. Martin Hartmann fügt hinzu: „Ich könnte überwachen oder kontrollieren, aber ich tue es nicht.“ Stärkere Freiheitsbegriffe hätten mit diesem „könnte“ Probleme. Es schwebt in ihren Augen gleichsam wie ein Damoklesschwert über den Spielräumen, die man durch das Vertrauen anderer erhält. Wirklich frei wäre dann man erst, wenn anderen nicht einmal die Möglichkeit hätten, die persönlichen Spielräume einzuschränken. Etwa, weil sie es nicht dürfen oder weil sie kein Recht dazu haben. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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John Locke kennt keine Tabus

Kategorien wie Gerechtigkeit, Treue, Schuld, Sünde, Gewissen, alles, woran sich Menschen zu orientieren pflegen, sind nur temporäre Vereinbarungen, Verhandlungssache. John Locke behauptet das nicht einfach, sondern belegt seine These mit reichem empirischem Material. Jürgen Wertheimer erläutert: „Eine Art Gehirnforschung aus dem Geist der anthropologischen Expertise, eine Ethnophilosophie ohne Tabus und Grenzen der Schicklichkeit.“ Es beginnt ein Großreinemachen im Augiasstall der Gewohnheiten, der Vorurteile und mentalen Restbestände aller Couleur. Wenn Menschen das, woran sie zu glauben gewohnt sind, für unumstößliche Wahrheiten halten, benehmen sie sich nicht anders als Kinder, die man blindem Gehorsam lehrte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass letztlich Gott und die Welt auf dem Spiel stehen. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Manchmal fächert sich die eigene Identität regelrecht auf

Im neuen Philosophie Magazin 01/2024 geht es im Titelthema um alternative Leben nach dem Motto: „Wer wäre ich, wenn …?“ Viele Möglichkeiten, sich zu entwerfen, bleiben im Laufe eines Lebens unverwirklicht. Die Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt: „Es gibt Momente, in denen sich die eigene Identität regelrecht auffächert.“ Tatsächlich sind Lebensumstände ja nicht einfach wie Kleider, die man einer festen, unveränderbaren Identität überwirft. Lebensumstände haben die Macht, einen Menschen tief zu verändern. Oder noch stärker: Sie haben die die Kraft, einer Person die Möglichkeit eines ganz anderen Ich zu eröffnen. Zunächst einmal kann man das eigene Leben nur vor dem Hintergrund vorstellbarer Alternativen als gestaltbar erfahren. Es stimmt, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann. Und doch gibt es auch Entscheidungen, die sich zurücknehmen oder mindestens überdenken lassen.

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Die Arbeit am Mythos ist niemals abzuschließen

Markus Gabriel unterscheidet in seinem Buch „Fiktionen“ zwischen Mythologie, Ideologie und Fiktion. Mythologie ist dabei die Wirksamkeit impliziter Vorbilder, was auf der Vorstellungsebene historisch in der Form eines theogonischen Bewusstseins aufscheint. In der Gegenwart besteht sie nicht zuletzt in Superheldenmythen und sonstigen Mythen des Alltags fort. Für den Philosophen Hans Blumenberg ist die Arbeit am Mythos niemals abzuschließen. Die Mythologie kann in einer Form auftreten, in der man die Wirklichkeit der Normen in eine archaische Vergangenheit verlegt. Markus Gabriel erklärt: „Dieser Vorgang macht uns potenziell zum Opfer einer Mythologie.“ Nämlich indem er ein Vorbild des Menschseins generiert, das in der Gegenwart handlungswirksam wird. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Schon Aristoteles fragte nach dem Zweck des Lebens

Eine der Varianten der Sinnfrage fragt ganz konkret nach dem Zweck der Existenz eines Menschen. Und das scheint Christian Uhle durchaus logisch, wenn es um das Thema Sinn geht: „In sehr vielen Fällen ist der Sinn einer Sache ja sein Zweck.“ Nach dem Zweck des menschlichen Lebens zu fragen hat eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte. Vor mehr als zweitausend Jahren überlegte schon Aristoteles, was der „télos“ des Lebens sei. Der Begriff „télos“ lässt sich ungefähr mit Zweck oder Ziel übersetzen. Diesen Sinn, der als Zweck verstanden werden kann, bezeichnet Christian Uhle fortan als zweckhaften Sinn. Also, was ist der Zweck des menschlichen Daseins? Das Anliegen des Philosophen Christian Uhle ist es, Philosophie in das persönliche Leben einzubinden.

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Freiheit ist zunächst einmal eine Fiktion

Freiheit ist vorab nichts anderes als eine Idee, eine Fiktion, eine Unterstellung. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Es mag nun Wesen geben, denen diese Idee gefällt und die gerne danach handeln. In diesem Moment sind sie tatsächlich frei. Es ist genau so, als ob die Freiheit ihres Willens überzeugend nachgewiesen worden wäre. Oder, sehr verkürzt, aber treffend: Wir sind genau dann frei, wenn wir so tun, als wenn wir frei wären.“ Immanuel Kants Moralphilosophie und sein Kategorischer Imperativ beruhen auf diesem „Als ob“, gründen in der Fiktion der Freiheit. Alle damit zusammenhängenden Annahmen haben dieses „Als ob“, die Fiktion zur Voraussetzung. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Ein Sammler ist der ideale Besitzer

Der Besitzt ist, so Walter Benjamin, „das allertiefste Verhältnis, das man zu Dingen überhaupt haben kann“. Byung-Chul Han ergänzt: „Der Sammler ist der ideale Besitzer der Dinge.“ Walter Benjamin erhebt den Sammler zu einer utopischen Figur, zu einem künftigen Retter der Dinge. Er macht sie die „Verklärung der Dinge“ zur Aufgabe. Er „träumt sich nicht nur in eine ferne oder vergangene Welt, sondern zugleich in eine bessere“. In dieser Welt sind die Menschen zwar ebenso wenig mit dem versehen, was sie brauchen. Aber die Dinge sind von der Fron befreit, nützlich zu sein. In jener utopischen Zukunft macht der Mensch einen ganz anderen Gebrauch von den Dingen, der kein Verbraucher mehr ist. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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