Freiheit ist zunächst einmal eine Fiktion

Freiheit ist vorab nichts anderes als eine Idee, eine Fiktion, eine Unterstellung. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Es mag nun Wesen geben, denen diese Idee gefällt und die gerne danach handeln. In diesem Moment sind sie tatsächlich frei. Es ist genau so, als ob die Freiheit ihres Willens überzeugend nachgewiesen worden wäre. Oder, sehr verkürzt, aber treffend: Wir sind genau dann frei, wenn wir so tun, als wenn wir frei wären.“ Immanuel Kants Moralphilosophie und sein Kategorischer Imperativ beruhen auf diesem „Als ob“, gründen in der Fiktion der Freiheit. Alle damit zusammenhängenden Annahmen haben dieses „Als ob“, die Fiktion zur Voraussetzung. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Es gibt keine moralischen Wahrheiten

Konrad Paul Liessmann nennt als Beispiele die Würde der Menschen, die Gesinnungsethik, das Konzept einer universalistischen Moral. Außerdem gehört dazu die Vorstellung, es gäbe so etwas wie moralische Verpflichtungen, die egoistische Interessen übersteigen. All das, was Menschen in moralischer Hinsicht bewegt, von der Klimakrise bis Afghanistan, beruht auf einer einfachen Fiktion: „Tun wir einfach so, als ob wir Wesen wären, die aus freien Stücken moralisch handeln und deshalb Verantwortung übernehmen können.“

Wenn je die Kraft und Macht einer Fiktion deutlich wurde, dann hier. Konrad Paul Liessmann behauptet: „Im Gegensatz zu einer heute wieder gern verbreiteten Ansicht gibt es nämlich keine moralischen Tatsachen oder moralische Wahrheiten, wohl aber moralische Fiktionen.“ Man tut so, als ob: als ob es um Gerechtigkeit, Gleichheit, Diversität, Grenzenlosigkeit und Vielfalt ginge – um lediglich die wichtigsten moralischen Fiktionen der Gegenwart zu benennen. Bei all diesen ethischen Leitbegriffen handelt es sich um keine Beschreibung der Wirklichkeit.

Man darf eine Fiktion nicht mit der Wirklichkeit verwechseln

Sondern es sind normativ aufgeladene Entwürfe, Vorstellungen, Konstruktionen, die es erlauben, manche Aspekte sozialen Lebens anders zu sehen und vor allem anders zu bewerten. Als Vorannahmen geben diese Fiktionen Auskunft über Interessen, und solange man sich ihres fiktionalen Charakters bewusst ist, kann man gut damit leben. Prekär wird es, wenn man die Fiktion mit der Wirklichkeit verwechselt. Dann unterliegt man einer gefährlichen Illusion.

Konrad Paul Liessmann betont: „Friedrich Nietzsche hatte noch nicht streng zwischen Illusion und Fiktion unterschieden, wir sollten es tun. Fiktionen sind heuristische Konstruktionen, die unseren Umgang miteinander und den Umgang mit der Welt erleichtern.“ Illusionär ist die Vorstellung, aus einer Fiktion Wirklichkeit werden zu lassen. Obwohl Menschen daran schon immer gescheitert sind, können sie davon nicht lassen. Etwas als Fiktion zu erkennen, heißt jedoch nicht, es in seinem Wert herabzusetzen. Quelle: „Als ob!“ von Konrad Paul Liessmann im Philosophicum Lech Nr. 24

Von Hans Klumbies