Die Alltagssprache besitzt Vielfalt und Reichtum

Axel Braig stellt fest: „Ludwig Wittgenstein erläutert den Gegensatz zwischen der Vielfalt und dem Reichtum der Alltagssprache und der Eindimensionalität der künstlichen Sprache.“ Er schreibt: „Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt. Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten. Und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.“ In einem anderen Zusammenhang verwendet Ludwig Wittgenstein ein ähnliches Bild: „Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennts dich aus. Du kommst von einer anderen zur selben Stelle, und du kennst dich nicht mehr aus.“ Axel Braig wandte sich nach Jahren als Orchestermusiker und Allgemeinarzt erst spät noch einem Philosophiestudium zu.

Für die Sprache gibt es keine durchgängige Theorie

Ludwig Wittgenstein verteidigt die Alltagssprache auch gegen den intellektuellen Hochmut der akademischen Philosophen. Er schreibt: „Die Philosophie darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten …“ Dabei ist ihm bewusst, dass er damit den Anspruch aufgibt, Sprache mittels einer durchgängigen Theorie zu verstehen. Stattdessen bietet er mehrere unterschiedliche Ansätze für ein Sprachverständnis. Dieses lässt sich nicht auf eine rein rational-gedankliche Ebene reduzieren. Sondern es bezieht auch assoziative Verknüpfungen mit ein.

Wie weit Ludwig Wittgenstein dabei denkt, lässt schon sein kurzer Satz erkennen: „Eine Sprache vorstellen, heißt, sich eine Lebensform vorstellen.“ Axel Braig erläutert: „Wir können uns den Sinn einer sprachlichen Äußerung nur wirklich deutlich machen, wenn wir das Umfeld, in der sie zustande kam, mit in den Blick nehmen.“ Dies sieht Ludwig Wittgenstein allerdings nicht ausschließlich als einen intellektuellen Prozess. Er schreibt: „Das Verstehen eines Satzes der Sprache ist dem Verstehen eines Themas in der Musik viel verwandter, als man etwa glaubt.“

Sprache ist ein faszinierendes Phänomen

Und geradezu als Hochverrat muss es einem klassischen Philosophen erscheinen, wenn er bei Gelegenheit sogar empfiehlt: „Denk nicht, sondern schau!“ Seinen Verzicht darauf, bestimmten Wörtern eine einzige und ein für alle Mal festgelegte Bedeutung zuzuschreiben, umreißt Ludwig Wittgenstein mit einem Satz: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Damit fordert er dazu auf, immer wieder neu auf die Welt zu schauen.

Dabei sollte man sich der Erfahrung öffnen, dass ein Wort in unterschiedlichen Zusammenhängen jeweils andere Bedeutungen annehmen kann. Ludwig Wittgensteins Nachdenken über Sprache mag für das traditionelle Verständnis häufig irritierend sein. Und es stellt dieses in vielerlei Hinsicht auf den Kopf. Er beschreibt Sprache als ein faszinierendes Phänomen. Dieses lässt sich zwar in seiner Vielfalt nicht auf einen gedanklichen Nenner bringen. Aber es stellt trotzdem eines der wichtigsten Werkzeuge dar, sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Quelle: „Über die Sinne des Lebens und ob es sie gibt“ von Axel Braig

Von Hans Klumbies