Ein Sammler ist der ideale Besitzer

Der Besitzt ist, so Walter Benjamin, „das allertiefste Verhältnis, das man zu Dingen überhaupt haben kann“. Byung-Chul Han ergänzt: „Der Sammler ist der ideale Besitzer der Dinge.“ Walter Benjamin erhebt den Sammler zu einer utopischen Figur, zu einem künftigen Retter der Dinge. Er macht sie die „Verklärung der Dinge“ zur Aufgabe. Er „träumt sich nicht nur in eine ferne oder vergangene Welt, sondern zugleich in eine bessere“. In dieser Welt sind die Menschen zwar ebenso wenig mit dem versehen, was sie brauchen. Aber die Dinge sind von der Fron befreit, nützlich zu sein. In jener utopischen Zukunft macht der Mensch einen ganz anderen Gebrauch von den Dingen, der kein Verbraucher mehr ist. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Bücher haben ihre Schicksale

Der Sammler als Retter der Dinge gibt sich der Sisyphusaufgabe hin, „durch seinen Besitz an den Dingen den Warencharakter von ihnen abzustreifen“. Walter Benjamins Sammler interessiert sich weniger für den Nutz- und Gebrauchswert der Dinge als für deren Geschichte und Physiognomie. Der wahre Sammler ist die Gegenfigur zum Konsumenten. Er ist ein Schicksalsdeuter, ein Physiognomiker der Dinge. Walter Benjamin schreibt: „Kaum hält er die [Dinge] in Händen, so scheint er inspiriert durch sie hindurch in die Ferne zu schauen.“

Walter Benjamin zitiert den bekannten lateinische Spruch: „Habent sua fata libelli.“ Bücher haben also ihre Schicksale. Byung-Chul Han ergänzt: „Seiner Lesart zufolge hat das Buch insofern ein Schicksal, als es ein Ding, ein Besitz ist. Es trägt materielle Spuren, die ihm eine Geschichte verleihen.“ Ein E-Book dagegen ist kein Ding, sondern eine Information. Damit hat es einen ganz anderen Seinsstatus. Es ist, selbst wenn man darüber verfügt, kein Besitz, sondern ein Zugang.

Selbst Herzensdinge macht man heute zur Ware

Beim E-Book ist das Buch auf seinen Informationswert reduziert. Es ist ohne Alter, Ort, Handwerk und Besitzer. Ihm fehlt gänzlich die auratische Ferne, aus der ein individuelles Schicksal zu einem Menschen spräche. Byung-Chul Han erklärt: „Das Schicksal gehört nicht in die digitale Ordnung. Informationen haben weder Physiognomie noch Schicksal. Sie lassen auch keine intensive Bindung zu. So gibt es vom E-Book kein Handexemplar.“ Es ist die Hand des Besitzers, die dem Buch ein unverwechselbares Gesicht, eine Physiognomie verleiht.

E-Books sind gesichts- und geschichtslos. Man liest sie ohne Hand. Dem Blättern wohnt das Taktile inne, das konstitutiv für jede Beziehung ist. Ohne körperliche Berührungen entstehen keine Bindungen. Die Zukunft wird wohl nicht der Benjaminschen Utopie entsprechen, in der die Dinge von ihrem Warencharakter befreit sind. Die Zeit der Dinge ist vorbei. TV-Sendungen wie „Bares für Rares“ zeigen, dass heute selbst Herzensdinge gnadenlos zur Ware gemacht werden. Quelle: „Undinge“ von Byung-Chul Han

Von Hans Klumbies