Die Täuschung setzt eine Rücksichtnahme auf andere voraus

Täuschungen erfüllen eine wichtige soziale Funktion. Von ihnen kann sogar eine beträchtliche zivilisierende Wirkung ausgehen. Robert Pfaller zieht eine wichtige Schlussfolgerung über die Rolle der Täuschung innerhalb der Kultur: „Die Täuschung setzt eine Rücksichtnahme auf den anderen voraus. Um jemanden täuschen zu können, müssen Sie sich ein Bild von den Wünschen und Erwartungen des anderen gemacht haben.“ Um die Wahrheit zu sagen, braucht man das hingegen nicht. Da muss man sich nur mit dem Sachverhalt beschäftigen, den man beschreibt, nicht aber mit der Person, zu der man spricht. Die Wahrhaftigkeit ist also oft nicht mehr als eine Form der Bequemlichkeit. Man erspart es sich einfach, sich mit dem anderen zu beschäftigen, mit dem man kommuniziert. Prof. Dr. Robert Pfaller lehrt Philosophie an der Kunstuniversität Linz.

Die Kunst operiert seit Platon mit Täuschungen

Deshalb gibt es eben viele verletzende Wahrheiten. Und sie sind oft sogar dann verletzend, wenn ihr Inhalt gar nicht so schlimm wäre. Denn sie verraten einen Mangel an Beschäftigung mit dem anderen. Robert Pfaller weiß: „Auf der anderen Seite lässt sich damit erklären, weshalb man sogar mit der Wahrheit lügen kann. Denn Lügen besteht nicht einfach darin, absichtlich Dinge zu sagen, die nicht der Wahrheit entsprechen.“ Die Lüge hat ihre Grundlage nicht im Verhältnis der Aussage zu ihrem Gegenstand, sondern vielmehr in einem bestimmten Verhältnis der Aussage zu den Erwartungen des Kommunikationspartners.

Als Philosoph, der an einer Kunstuniversität beschäftigt ist, hat Robert Pfaller Anlass gehabt, sich mit der sozialen Dimension der Täuschung auseinanderzusetzen. Insbesondere deshalb, weil gerade die Kunst seit Platon dafür berüchtigt war, mit Täuschungen zu operieren. In den letzten Jahren sind jedoch eine eigentümliche Wahrheitsbesessenheit und Wissenschaftsgläubigkeit ausgebrochen. Fast so, als hätte sich die Kunst diesen alten Vorwurf nun zu Herzen genommen.

Die Täuschung ist ein zutiefst sozialer Vorgang

Die Kunst präsentiert sich unter der Anleitung ihrer Kuratoren derzeit oft nur möglichst wahrheitsgetreu, etwas oberlehrerhaft und sehr glanzlos ein sorgfältig recherchiertes soziales, identitätspolitisches oder ökologisches Problem. Bei dieser Vorherrschaft des sozialen Interesses wird allerdings von den Künstlern oft übersehen, dass gerade die Täuschung selbst, ein zutiefst sozialer Vorgang ist. Denn sie setzt ein hohes Maß von Beschäftigung mit dem anderen voraus.

Auch die gesellschaftliche Wirksamkeit der Kunst ist gerade in diesem sozialen Bereich der Täuschungen am größten. Robert Pfaller erläutert: „Denn die Kunst kann nur dann etwas bewirken, wenn sie im gesellschaftlichen Imaginären interveniert. Sie kann nur dort wirksam eingreifen, wo die Leute etwas glauben, glauben möchten oder wünschen.“ Nicht aber dort, wo sie etwas wissen oder nicht wissen. Gerade an der früheren Kunst, die noch massiv getäuscht hat, kann man erkennen, wie sehr das Täuschen mit sozialen Vorgängen zu tun hat. Quelle: „Das Unglaubliche“ von Robert Pfaller in „Der Geist im Gebirge“ von Konrad Paul Liessmann (Hg.)

Von Hans Klumbies