Gerhard Gleißner erklärt den Aufbau der Stoa

Die gesamte Lehre der Stoa umfasst neben der Ethik auch noch die Bereiche der Logik und der Physik. Gerhard Gleißner erläutert: „Die Logik beschäftigte sich mit dem vernünftigen, folgerichtigen Denken, um dadurch neue Erkenntnisse zu gewinnen und Fortschritte zu erzielen.“ Zum anderen sollte man die erworbenen Einsichten und Erkenntnisse ja auch den anderen Menschen mitteilen und vermitteln können. Dafür waren vernünftige sprachliche – rhetorische – Fähigkeiten sehr wichtig. Die Physik versuchte, den Aufbau der Welt beziehungsweise des gesamten Kosmos zu erklären. Anders als bei der heutigen Naturwissenschaft spielte hier zusätzlich die Theologie mit hinein. Die Stoiker bezeichneten diesen Gesamtzusammenhang als „logos“ – Wort, Sinn, Vernunft. Der „logos“ entspricht einer übergeordneten Einheit, auf die alles zurückgeht. Somit haben logische Gesichtspunkte in der stoischen Physik einen festen Platz. Dr. med. Gerhard Gleißner ist seit 2014 als Amtsarzt und Gutachter im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig.

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Die Welt ist nicht zu hart

Friedrich Nietzsche schreibt in seinem Werk „Ecce Homo“: „Der wohlgeratene Mensch errät Heilmittel gegen Schädigungen. Er nützt schlimme Vorfälle zu seinem Vorteil aus. Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker.“ Dieselbe Widerstandskraft erwartet man auch von seinen Mitbürgern. Denn nur ein resilientes Ich, das an Krisen wächst und sich gegen die Wechselfälle des Lebens zu wappnen weiß, ist im Privat- wie Berufsleben verlässlich und letztlich auch für eine Demokratie unentbehrlich. Svenja Flaßpöhler weiß: „Oder wie sonst ließen sich vernünftige Entscheidungen treffen und harte Debatten führen?“ Wie sonst könnte man zielorientiert in die Zukunft blicken, wenn man bei eigenem oder fremdem Leid sofort in Tränen ausbricht und alles persönlich nimmt? Nein, die Welt ist nicht zu hart. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“.

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Die Alltagssprache besitzt Vielfalt und Reichtum

Axel Braig stellt fest: „Ludwig Wittgenstein erläutert den Gegensatz zwischen der Vielfalt und dem Reichtum der Alltagssprache und der Eindimensionalität der künstlichen Sprache.“ Er schreibt: „Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt. Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten. Und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.“ In einem anderen Zusammenhang verwendet Ludwig Wittgenstein ein ähnliches Bild: „Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennts dich aus. Du kommst von einer anderen zur selben Stelle, und du kennst dich nicht mehr aus.“ Axel Braig wandte sich nach Jahren als Orchestermusiker und Allgemeinarzt erst spät noch einem Philosophiestudium zu.

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Die Postmoderne verursacht alle Übel

Die Postmoderne ist an allem schuld. Denn sie ist der Ausgangspunkt für die Übel der Gegenwart, für die vier apokalyptischen Reiter Konstruktivismus, Relativismus, Moralismus und Identitätspolitik. Daniel-Pascal Zorn erklärt: „Für die Postmoderne ist die reale Welt nur eine Konstruktion. Nämlich ein Effekt von Machtansprüchen und anonymen Strukturen, der keinen Zugriff auf eine gemeinsame Wirklichkeit mehr erlaubt: Konstruktivismus.“ Hier gibt es keine Wahrheit mehr, nur noch relative Meinungen, die versuchen, sich gegen andere Meinungen durchzusetzen: Relativismus. Weil man dabei keine verbindlichen Maßstäbe mehr akzeptiert, ersetzt man Fakten und Tatsachen durch fiktive Vorstellungen und gedankliche Konstrukte. Deshalb gelingt die Durchsetzung von Meinungen nur noch mit moralischer Erpressung: Moralismus. Daniel-Pascal Zorn studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. Seit 2021 ist er Geschäftsführer des Zentrums für Prinzipienforschung an der Bergischen Universität Wuppertal.

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Die Pluralität der Meinungen führt zur Wahrheit

Orientiert man sich an Sokrates, so liegt die besondere Stellung des Philosophen gerade nicht in einem gegenüber dem Feld der Meinung substanziell verschiedenen Zugang zur Wahrheit. Auch er kann schließlich die Bedingung der Endlichkeit nicht überwinden. Sie liegt vielmehr in einer Bereitschaft zur staunenden Infragestellung der eigenen Überzeugungen. Nur wenn man die Pluralität der Meinungen selbst vergleicht, kann man allein die Wahrheit erschließen. Und dies immer wieder neu. Juliane Rebentisch erläutert: „Denn in ihrer Abhängigkeit vom Abgleich der Perspektiven muss die Wahrheit geschichtlich und also als fallibel gedacht werden.“ Laut Sokrates besteht die Rolle des Philosophen nicht darin, den Staat zu regieren, sondern dessen Bürger permanent zu irritieren. Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

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Vertrauen gewährt eine anerkannte Freiheit

Die Moralphilosophin Annette Baier hat einmal bündig definiert, Freiheit heiße, mit Hilfe des anderen auf sich selbst gestellt oder unbewacht sein zu können. Als Freiheitsdefinition wäre das wohl zu heikel. Denn klar ist, dass der, dem man Vertrauen schenkt, nur frei ist, weil man es ihm schenkt. Martin Hartmann fügt hinzu: „Ich könnte überwachen oder kontrollieren, aber ich tue es nicht.“ Stärkere Freiheitsbegriffe hätten mit diesem „könnte“ Probleme. Es schwebt in ihren Augen gleichsam wie ein Damoklesschwert über den Spielräumen, die man durch das Vertrauen anderer erhält. Wirklich frei wäre dann man erst, wenn anderen nicht einmal die Möglichkeit hätten, die persönlichen Spielräume einzuschränken. Etwa, weil sie es nicht dürfen oder weil sie kein Recht dazu haben. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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John Locke kennt keine Tabus

Kategorien wie Gerechtigkeit, Treue, Schuld, Sünde, Gewissen, alles, woran sich Menschen zu orientieren pflegen, sind nur temporäre Vereinbarungen, Verhandlungssache. John Locke behauptet das nicht einfach, sondern belegt seine These mit reichem empirischem Material. Jürgen Wertheimer erläutert: „Eine Art Gehirnforschung aus dem Geist der anthropologischen Expertise, eine Ethnophilosophie ohne Tabus und Grenzen der Schicklichkeit.“ Es beginnt ein Großreinemachen im Augiasstall der Gewohnheiten, der Vorurteile und mentalen Restbestände aller Couleur. Wenn Menschen das, woran sie zu glauben gewohnt sind, für unumstößliche Wahrheiten halten, benehmen sie sich nicht anders als Kinder, die man blindem Gehorsam lehrte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass letztlich Gott und die Welt auf dem Spiel stehen. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Manchmal fächert sich die eigene Identität regelrecht auf

Im neuen Philosophie Magazin 01/2024 geht es im Titelthema um alternative Leben nach dem Motto: „Wer wäre ich, wenn …?“ Viele Möglichkeiten, sich zu entwerfen, bleiben im Laufe eines Lebens unverwirklicht. Die Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt: „Es gibt Momente, in denen sich die eigene Identität regelrecht auffächert.“ Tatsächlich sind Lebensumstände ja nicht einfach wie Kleider, die man einer festen, unveränderbaren Identität überwirft. Lebensumstände haben die Macht, einen Menschen tief zu verändern. Oder noch stärker: Sie haben die die Kraft, einer Person die Möglichkeit eines ganz anderen Ich zu eröffnen. Zunächst einmal kann man das eigene Leben nur vor dem Hintergrund vorstellbarer Alternativen als gestaltbar erfahren. Es stimmt, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann. Und doch gibt es auch Entscheidungen, die sich zurücknehmen oder mindestens überdenken lassen.

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Die Arbeit am Mythos ist niemals abzuschließen

Markus Gabriel unterscheidet in seinem Buch „Fiktionen“ zwischen Mythologie, Ideologie und Fiktion. Mythologie ist dabei die Wirksamkeit impliziter Vorbilder, was auf der Vorstellungsebene historisch in der Form eines theogonischen Bewusstseins aufscheint. In der Gegenwart besteht sie nicht zuletzt in Superheldenmythen und sonstigen Mythen des Alltags fort. Für den Philosophen Hans Blumenberg ist die Arbeit am Mythos niemals abzuschließen. Die Mythologie kann in einer Form auftreten, in der man die Wirklichkeit der Normen in eine archaische Vergangenheit verlegt. Markus Gabriel erklärt: „Dieser Vorgang macht uns potenziell zum Opfer einer Mythologie.“ Nämlich indem er ein Vorbild des Menschseins generiert, das in der Gegenwart handlungswirksam wird. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Schon Aristoteles fragte nach dem Zweck des Lebens

Eine der Varianten der Sinnfrage fragt ganz konkret nach dem Zweck der Existenz eines Menschen. Und das scheint Christian Uhle durchaus logisch, wenn es um das Thema Sinn geht: „In sehr vielen Fällen ist der Sinn einer Sache ja sein Zweck.“ Nach dem Zweck des menschlichen Lebens zu fragen hat eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte. Vor mehr als zweitausend Jahren überlegte schon Aristoteles, was der „télos“ des Lebens sei. Der Begriff „télos“ lässt sich ungefähr mit Zweck oder Ziel übersetzen. Diesen Sinn, der als Zweck verstanden werden kann, bezeichnet Christian Uhle fortan als zweckhaften Sinn. Also, was ist der Zweck des menschlichen Daseins? Das Anliegen des Philosophen Christian Uhle ist es, Philosophie in das persönliche Leben einzubinden.

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Freiheit ist zunächst einmal eine Fiktion

Freiheit ist vorab nichts anderes als eine Idee, eine Fiktion, eine Unterstellung. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Es mag nun Wesen geben, denen diese Idee gefällt und die gerne danach handeln. In diesem Moment sind sie tatsächlich frei. Es ist genau so, als ob die Freiheit ihres Willens überzeugend nachgewiesen worden wäre. Oder, sehr verkürzt, aber treffend: Wir sind genau dann frei, wenn wir so tun, als wenn wir frei wären.“ Immanuel Kants Moralphilosophie und sein Kategorischer Imperativ beruhen auf diesem „Als ob“, gründen in der Fiktion der Freiheit. Alle damit zusammenhängenden Annahmen haben dieses „Als ob“, die Fiktion zur Voraussetzung. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Ein Sammler ist der ideale Besitzer

Der Besitzt ist, so Walter Benjamin, „das allertiefste Verhältnis, das man zu Dingen überhaupt haben kann“. Byung-Chul Han ergänzt: „Der Sammler ist der ideale Besitzer der Dinge.“ Walter Benjamin erhebt den Sammler zu einer utopischen Figur, zu einem künftigen Retter der Dinge. Er macht sie die „Verklärung der Dinge“ zur Aufgabe. Er „träumt sich nicht nur in eine ferne oder vergangene Welt, sondern zugleich in eine bessere“. In dieser Welt sind die Menschen zwar ebenso wenig mit dem versehen, was sie brauchen. Aber die Dinge sind von der Fron befreit, nützlich zu sein. In jener utopischen Zukunft macht der Mensch einen ganz anderen Gebrauch von den Dingen, der kein Verbraucher mehr ist. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Ina Schmidt strebt nach dem Guten

Menschen können nach dem Guten streben, und wenn sie Verantwortung übernehmen, verpflichten sie sich selbst, dies auch zu tun. Weil sie durch ihre Rolle zuständig, rechtlich daran gebunden oder moralisch dazu aufgerufen sind. Ina Schmidt erklärt: „Das Wort „Verantwortung“, übertragen aus dem lateinischen „respondere“ meint die menschliche Möglichkeit und Fähigkeit, eine Antwort geben zu können.“ Eine solche Antwort muss allerdings bestimmten Kriterien genügen. Diese misst man oft unausgesprochen daran, ob sie sich am Guten und Richtigen orientieren. Verantwortung ist also immer eine normative Haltung. Sie ist darauf ausgerichtet, eine Verbesserung zum Guten zu bewirken, die nichts mit dem eigenen Wohlbefinden zu tun haben muss. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

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Die Faszination des Bösen ist ungebrochen

Man redet wieder über „das Böse“. Rüdiger Safranski vermutet: „Vielleicht deshalb, weil man bemerkt hat, dass unsere Begriffe notorisch harmloser sind als die Wirklichkeit.“ Das ist übrigens eine alte Erfahrung. Die Karriere des griechischen Logos begann als Strategie der Beruhigung, als Neutralisierung des Mythos. Denn für diesen war der Grund der Welt ein Abgrund, ein wahres Inferno aus Gewalt, Inzest, Mord, Verfeindung. Der Kosmos erscheint in antik-griechischer Sicht als Ergebnis eines endlich triumphierenden Friedensschlusses zwischen den Göttern. So ist der Mythos auch eine Erinnerung daran, welchem Grauen die Zivilisation abgerungen ist. Am Anfang gebar, von Eros geschwängert, die „breitbrüstige“ Gaia, die Erde den Uranos, den Himmel. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Dem Menschen ist seine Autonomie sehr wichtig

Die Freiheit wird auch heute noch immer hochgeschätzt. Immanuel Kant schrieb einst, dass man von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch machen sollte. Aber um welche Freiheit geht es? Der amerikanische Informatiker und Künstler Jaron Lanier vergleicht moderne Menschen mit Wölfen. Wie kann das sein? Rebekka Reinhard antwortet: „Eigentlich ist der moderne, aus dem soliden Umfeld der Tradition gerissene Mensch doch ein unvergleichliches Individuum, eine Singularität. Dieser Mensch möchte kein skinnerisches Versuchstier sein. Autonomie ist ihm sehr wichtig.“ Die Computer-Logik dagegen übersetzt Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit und kennt nur zwei Zustände: Entweder – Oder. So blitzschnell, dass sie wie aus Versehen ein Gleichheitszeichen zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ setzt. Die Philosophin Rebekka Reinhard war, bis zur Einstellung der Zeitschrift, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Eigentum ist keine natürliche Kategorie

Der Begriff des „Rechtsguts“ ist, wenn es um Strafrecht geht, verbreitet und auch Laien geläufig. Thomas Fischer schränkt jedoch ein: „Das bedeutet nicht, dass sich diejenigen, die den Begriff verwenden, auch stets einig sind, was damit gemeint ist.“ Strafrecht schützt nicht – sinnlos – „fremde bewegliche Sachen“, sondern – sinnhaft – Eigentümer und Besitzer von Sachen gegen die Wegnahme. Das Strafrecht „schützt“ im Tatbestand des Diebstahls einen sozialen Sachverhalt, der gar nicht aus dem Strafrecht selbst kommt. Sondern er hat seinen Ursprung in der Sphäre der Güterzuordnung, der Abgrenzung von Herrschaftsbereichen, den sozialen Voraussetzungen von Eigentum. Eigentum wiederum ist keine natürliche Kategorie, sondern ein wertender Begriff für eine soziale Herrschaftsstruktur. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Das „Gefühl des Absurden“ ist total berechtigt

Die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir (1908 – 1986) beschrieb, wie insbesondere Frauen sich selbst fremd werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn man sie gesellschaftlich aus der Norm ausschließt und sie stattdessen als das „andere“ Geschlecht aufwachsen. Für sie seien Sinnkrisen geradezu vorprogrammiert. Immerhin sah Simone de Beauvoir auf dieser Ebene einen möglichen Ausweg. Christian Uhle ergänzt: „Demgegenüber betonte Albert Camus, dass auf einer noch tieferen Ebene, jenseits gesellschaftlicher Machtverhältnisse, sämtliche Menschen mit dem gleichen Schicksal konfrontiert sind.“ Er nannte die Empfindung sinnsuchender Menschen das „Gefühl des Absurden“. Und dieses Gefühl erklärte er für absolut berechtigt, ja, zutreffend. Denn es entspringe der Bereitschaft, das eigene Leben durch einen klaren, unverfälschten Blick zu sehen als das, was es ist: absurd. Das Anliegen des Philosophen Christian Uhle ist es, Philosophie in das persönliche Leben einzubinden.

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John Locke nimmt den Menschen unter die Lupe

Der Engländer John Locke (1632 – 1704) nimmt auf experimentalwissenschaftlicher und medizinischer Basis das Studienobjekt Mensch genauer unter die Lupe. Seine Forschungsobjekte: alles was sich bewegt. Sein Hauptinteresse: zu begreifen, wie die Mechanik der menschlichen Reaktionsweisen funktioniert. Er wollte erkennen, was es heißt, wenn einer denkt oder wenn einer denkt, er würde denken. Jürgen Wertheimer weiß: „Obwohl er an der Universität Oxford studierte und lehrte, blieb er nicht völlig dem Wissenschaftsbetrieb verhaftet. Er arbeitete als Lordkanzler, als Hausarzt, Erzieher und veröffentlichte während dieser Zeit ein umfangreiches Werk.“ Allerdings brachten John Locke seine Schriften nicht nur Ruhm ein. So wurde er aus dem Christ-Church-College ausgeschlossen. In Oxford beschuldigten ihn mehrere Professoren einer zweifelhaften Gesinnung. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Glück ist eine Lebensberufung

Einschlägige Ratgeber, therapeutische Anweisungen, esoterische Verheißungen machen heutzutage Propaganda für das Glück. Wer genauer hinschaut, erkennt bald, dass es darin meist gar nicht um Glück, sondern um Zufriedenheit geht. Es geht dabei um den Menschen, den man mit einer erneuerbaren, im eigenen Seelenkraftwerk hergestellten Energie ausstattet. Karl-Markus Gauß erklärt: „Gelehrt wird eine besondere Technik der Selbstregulierung, die vor extremen Stimmungen schützt und dem fleißig Lernenden vermittelt, wie er mit sich, den anderen, dem Gegebenen auskommen könne, und dies ein ganz zufriedenes Leben lang.“ Dagegen spricht auch nichts, außer das Glück etwas anderes ist, nämlich eine Lebensberufung. Karl-Markus Gauß lebt als Autor und Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ in Salzburg. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und oftmals ausgezeichnet.

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Der Mensch ist erhaben

Die Sozialität geistiger Lebewesen besteht darin, sich aus dem Sumpf ihres Überlebens zu erheben. Der Mensch ist erhaben. Markus Gabriel erklärt: „Wir existieren im empathischen Sinn des Existenzialismus. Dieser besteht darin, dass wir und auf Abstand von den notwendigen natürlichen Dingen befinden, dank derer wir überleben.“ Menschen sind offensichtlich imstande, ihr geistiges Leben im Licht eines Selbstporträts – eines Menschenbilds – zu führen. Menschenbilder schließen einander aus. Konkret gestaltet sich dies so, dass sich Menschen ein Bild davon machen, worin ihr Überleben besteht, das dessen natürlichen Bedingungen nicht Rechnung trägt. Dabei sind sie weit davon entfernt, ein vollständiges Wissen der Selbstorganisation ihrer Überlebensform – des menschlichen Körpers – zu haben. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der „letzte Mensch“ ist schwach und müde

Aber was hat es mit dem „letzten Menschen“ auf sich? Zarathustra prognostizierte mit dieser Formel einen schwachen und müde gewordenen Charakter. Dieser erinnert in vielem an die Life-Style-Figuren der Gegenwart und ihre Convenience-Kultur. Friedrich Nietzsche schreibt im „Zarathustra“: „Wir haben das Glück erfunden, sagen die letzten Menschen und blinzeln.“ Konrad Paul Liessmann ergänzt: „Nietzsche hat hellsichtig erkannt, dass das Glück als umfassende Konzeption und Zielvorstellung des Lebens eine relativ späte Erfindung ist. Sieht man von den antiken Glückskonzepten etwa bei Aristoteles einmal ab.“ Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl. Diese bekannte Formel des angelsächsischen Utilitarismus markiert die Erfindung des Glücks. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Das Denken entspricht einem Feldsinn

Es gibt keine sinnlosen Gegenstände. Markus Gabriel erklärt: „Sinnlose Gegenstände wären Gegenstände, die in keinem Medium erscheinen, die in keinem Sinn Träger von Informationen wären.“ Einen Zusammenhang von Gegenständen in einem oder mehreren Medien nennt Markus Gabriel ein Sinnfeld. Wenn man so will, könnte man das menschliche Denken entsprechend als einen Feldsinn auffassen. Menschen befinden sich in Sinnfeldern und sind imstande, diese zu erkennen. Die philosophische Theorie, die sich mit der Existenz von Sinnfeldern befasst – also die von Markus Gabriel –, heißt entsprechend die Sinnfeldontologie. Dieser Theorie zufolge gibt es keine nackten Gegenstände, die isoliert vorkommen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Kirche begreift die Geburt als Wunder

Es gibt kaum Literatur zum Thema Geburt. Und wenn es welche gibt, drängt man sie an den Rand „erhabener“ Wissensbestände. Emanuele Coccia stellt fest: „Dafür sind bildliche Zeugnisse im Überfluss vorhanden und haben über die Jahrhunderte die Reflexionen rund um dieses Phänomen genährt.“ Tatsächlich zählt die Nativität zu den häufigsten Motiven der europäischen Malerei. Allerdings ist der Blick der Maler durch das theologische Prisma verzerrt. Die Geburt, die sie schildern, ist kein gewöhnliches, sondern ein einmaliges, nicht darstellbares und widernatürliches Ereignis. Die christliche Theologie hat dazu beigetragen, die Geburt zu etwas Undenkbarem zu machen. Denn sie ließ sie aus jeglichem naturalistischen Rahmen heraustreten, wusste sie gegen die Natur auszuspielen und begriff sie als Wunder. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Grausamkeit sollte eigentlich unmöglich sein

Die Grausamkeit gehört für Friedrich Nietzsche zur ältesten Festfreude der Menschheit. Auf der anderen Seite sollte Grausamkeit eigentlich unmöglich sein. Denn es dürfte sie nicht geben, wo es menschlich zugehen soll. Wolfgang Müller-Funk weiß jedoch auch: „Wer sich mit der systematischen Quälerei anderer Menschen, Individuen oder Gruppen, beschäftigt, droht von ihr angezogen zu werden.“ Unmöglich ist die Grausamkeit aber ebenso, weil es schwer ist, sich unvoreingenommen mit ihr zu beschäftigen. Der Schrecken vor ihr führt leicht dazu, sie zu verkennen. Die Aussage, dass Grausamkeit unmenschlich ist, geht leicht von den Lippen. Doch die Entgegensetzung von „menschlich“ und „unmenschlich“ ist fragwürdig. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

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Bürokraten möchten interne Sanktionen vermeiden

„Bürokratische Verlässlichkeit setzt keine Freundschaft oder Liebe voraus. Der typische Bürokrat kennt seine Klienten nicht. Er ist aber auch nicht im ökonomischen Sinne eigeninteressiert, da es in seinem Handeln nicht um Gewinnmaximierung geht. Der Regelbruch würde sich nicht im rationalen Sinne für ihn lohnen. Martin Hartmann erklärt: „Das ist der Unterschied zwischen der ökonomischen Verlässlichkeit und der bürokratischen Verlässlichkeit.“ Im ökonomischen Kontext riskiert man die Verletzung durch den anderen. Im bürokratischen Zusammenhang erleidet man sie und kann sich gegebenenfalls auf der Basis transparenter Regeln gegen sie wehren. Entsprechend unterscheiden sich die Sanktionsmechanismen. Für Marktteilnehmer ist der Verlust der Reputation oder Marktstellung relevant als Motiv der Vermeidung unlauteren Verhaltens. Für Bürokraten geht es eher darum, interne Sanktionen zu vermeiden, oder darum, nicht als inkompetent oder vorurteilsbeladen dazustehen. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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