Die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland seit dem Jahr 1933, die sich im Zweiten Weltkrieg auch über weite Teile Europas ausdehnte, der Massenmord an sechs Millionen Juden, steht für einen Tiefpunkt in der Geschichte der Menschheit und bildet zugleich den extremsten Gegensatz zur Staatsform der Demokratie. Die Diktatur des Nationalsozialismus ist aber laut Paul Nolte weder als Schicksal noch als historischer Unfall über Deutschland gekommen. Adolf Hitlers Machtübernahme wurde in Deutschland von einer breiten Zustimmung der Bevölkerung getragen und von vielen Menschen als eine angemessene Antwort auf die langgehegten Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Demokratie gesehen. Paul Nolte schreibt: „Ohne die Loyalität und Mitarbeit von Teilen der Bevölkerung ist eine Diktatur nicht vorstellbar, schon gar nicht eine moderne des 20. Jahrhunderts.“ Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.
Sehr viele Deutsche unterstützten die NS-Regime durch aktives Mithandeln
Die historische Forschung hat inzwischen herausgefunden, dass sich das NS-Regime viel stärker auf das Volk stützte, als man lange geglaubt hatte oder wahrhaben wollte. Die Nazis boten dem Volk materielle Leistungen, die scheinbar fortschrittlich waren oder sogar eine egalitäre Gesellschaft beförderten. Paul Nolte fügt hinzu: „Es beruhte dafür aber auch auf dem aktiven Mithandeln, nicht nur der passiven Zustimmung sehr vieler Deutscher. Kein Zweifel bestand schon für die Zeitgenossen daran, dass die NSDAP der Demokratie im Allgemeinen, dem von ihr verhassten Weimarer „System“ im Besonderen entschieden feindlich gegenüberstand.“
Das nationalsozialistische Regime berief sich auch selbst nicht auf eine „wahre“ Demokratie, jenseits der liberal-parlamentarischen. Das unterscheidet für Paul Nolte ihre politische Ideologie und ihr Selbstverständnis klar von den linken Grenzüberschreitungen im Sozialismus, die wie Lenin ein zwiespältiges Verhältnis zum Begriff der Demokratie behielten. Dagegen verabscheuten die Nationalsozialisten die westliche Demokratie und die gesamte demokratisch-liberale Tradition als dem deutschen Volke nicht wesensgemäß.
Der Nationalsozialismus war eine Führerherrschaft mit plebiszitärer Abstützung
Für Adolf Hitler und seine Verbündeten war klar, dass es sich beim Nationalsozialismus um ein neues politisches Ordnungsmodell handelte, das weit jenseits der Demokratie angesiedelt war. Es handelte sich dabei um eine „Führerherrschaft“ mit plebiszitärer Abstützung, auf die in der scheinbar ausweglosen Krise der Weimarer Republik seit 1930 immer mehr Deutsche ihre Hoffnungen richteten. Paul Nolte zitiert Sebastian Haffner, der schrieb, dass nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein sehr verbreitetes Gefühl der Erlösung und Befreiung von der Demokratie in der Bevölkerung vorherrschte.
Paul Nolte weist allerdings darauf hin, dass es auch Millionen Deutsche gab, die den Eindruck der Befreiung nicht hatten, die immer noch Anhänger der Weimarer Demokratie waren und sogar vor einer brutalen Diktatur Adolf Hitlers warnten. Die völlige Zerstörung der Demokratie vollzog sich dann in wenigen Monaten bis zum Sommer 1933. Laut Paul Nolte kann man an der nationalsozialistischen Revolution geradezu beispielhaft studieren, aus welchen einzelnen Teilen sich eine Demokratie zusammensetzt und welche Maßnahmen erforderlich sind, um sie zu liquidieren.
Von Hans Klumbies