Wer über das Böse nachdenkt, kommt nicht selten irgendwann auf Adolf Hitler zu sprechen. Julia Shaw erläutert: „Das verwundert nicht bei einer Person, die u. a. für Massenmord, Zerstörung, Krieg, Folter und Volksverhetzung die Verantwortung trug.“ Die Geschichte und die Welt er werden für immer durch die Erinnerung an ihn beschmutzt sein. Wegen der Vielfalt und des Ausmaßes der Verwüstung, für die Adolf Hitler direkt und auch indirekt verantwortlich war, sind etliche Bücher über seine Beweggründe, seine Persönlichkeit und sein Handeln geschrieben worden. Die Menschen wollen schon lange wissen, warum und wie aus ihm der Mann wurde, den man aus den Geschichtsbüchern kennt. Statt die Einzelheiten seines Handelns zu analysieren, richtet Julia Shaw ihr Augenmerk auf folgende Frage: „Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, würden Sie Hitler als Baby töten?“ Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.
Schreckliche Babys müssen nicht böse Erwachsene werden
Die Antwort auf diese Frage verrät eine Menge über einen Menschen. Wer mit „Ja“ antwortet, glaubt wahrscheinlich, dass ein Mensch mit einer gewissen Veranlagung geboren wird, Schreckliches oder Gutes zu tun. Dass sich das Böse in der menschlichen DNA befinden kann. Wer mit „Nein“ antwortet, hat wahrscheinlich eine weniger deterministische Sichtweise menschlichen Verhaltens und glaubt vielleicht, dass die Umwelt und die Erziehung eine wichtige Rolle dabei spielen, welche Taten man als Erwachsener begeht.
Vielleicht sagt jemand aber auch „Nein“, weil das Töten von Babys ein Tabu für ihn darstellt. Wie dem auch sei, Julia Shaw glaubt, dass die Antwort faszinierend ist. Sie glaubt auch, dass sie sich nahezu sicher auf unvollständige Beweise stützt: „Denn wissen wir wirklich, ob schreckliche kleine Babys schreckliche große Erwachsene werden? Und unterscheidet sich ihr Gehirn tatsächlich so sehr von Hitlers Gehirn?“ Bevor man Adolf Hitlers Gehirn rekonstruieren kann, muss man zunächst kurz prüfen, ob Hitler verrückt, böse oder beides war.
Adolf Hitler verübte seine Verbrechen voller Enthusiasmus
Eines der ersten Psychogramme von Adolf Hitler stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Es gilt als eines der ersten Täterprofile aller Zeiten und wurde 1944 vom Psychoanalytiker Walter Langer geschrieben. Der Bericht beschrieb Adolf Hitler als „neurotisch“, als „Psychopathen an der Grenze zur Schizophrenie“ und traf die korrekten Vorhersagen, dass er nach ideologischer Unsterblichkeit strebe und angesichts einer Niederlage Selbstmord begehen würde.
Ein anderer Versuch eines Psychogramms wurde 1998 von dem Psychiater Fritz Redlich veröffentlicht. Redlich führte durch, was er als Pathografie bezeichnet – die Erforschung des Lebens und der Persönlichkeit eines Menschen unter Berücksichtigung krankheitsbedingter Einflüsse. Anhand von Hitlers Krankengeschichte seiner Familie sowie von Reden und anderen Dokumenten gelangte er zu dem Schluss, dass Adolf Hitler viele psychiatrische Symptome gezeigt habe, einschließlich Paranoia, Narzissmus, Angst, Depression und Hypochondrie. Dennoch behauptete er, dass der größte Teil von Hitlers Persönlichkeit mehr als „angemessen“ funktionierte und Hitler „wusste, was er tat, und es voller Stolz und Enthusiasmus tat“. Quelle: „Böse“ von Julia Shaw
Von Hans Klumbies