Die überwiegende Mehrheit will die liberale Demokratie

Liberale Demokratien können ein Vorbild und zuweilen ein Schreckbild abgeben. Trotzdem möchte, quer durch die europäischen Mentalitäten, nur eine winzige Minderheit die demokratische Epoche beenden, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann. Roger de Weck fügt hinzu: „Die überragende Mehrheit will die wirkliche, die liberale Demokratie. Wobei viele spüren, ohne diesem Gefühl eine klare Richtung geben zu können: Wie bisher sollte es nicht weitergehen.“ Das Emporschnellen der Autoritären ist eine Warnung und bald eine ernste Gefahr, falls das Alarmzeichen übersehen wird. Die Erfahrung der Hybris und Inkompetenz von Autoritärdemokraten ist aber gleichzeitig eine Chance – ein Ansporn, sich um die Zukunft einer handlungsfähigen liberalen Demokratie zu bemühen. Kommt erst einmal noch mehr Autoritarismus? Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Die alten Ideologien helfen nicht weiter

Oder will man im Gegenteil mehr Teilhabe der Bürger an der Res publica? Wie beim Seilziehen wirken Kräfte in beide Richtungen. Roger de Weck stellt fest: „Die Demokratie steht unter Zugzwang, sich zu erneuern, und das Vielversprechende dabei ist: Bei diesem Modernisierungswerk gibt es keine für alle Staaten geeignete Methode, kein pauschales System, keinen ideologischen Ansatz.“ Ohnehin lässt sich in der Gemeinde, im Bundesland, Département oder Kanton, in der Region, Nation oder Europäischen Union das Demokratische nicht auf gleiche Weise weiterentwickeln.

Und jetzt erst fängt überhaupt die Suche nach zweckmäßigen demokratischen Innovationen an. Mit anderen Worten: Die alten politisch-ökonomischen Ideologien helfen, anderes als in den Systemdebatten der Vergangenheit, nicht weiter. Roger de Weck erläutert: „Wenn neoliberale Staatshasser die Kommunistische Partei Chinas und ihren totalitären Staatskapitalismus loben, unterstreichen sie die Absurdität der eigenen Ideologie – und der chinesischen. In solchen Grotesken endet das ideologische Zeitalter.“

Die Demokratie beinhaltet keine Heilsversprechen

Nicht selten hält sich das Vorübergehende für dauerhaft, und jede Ideologie sei die definitiv richtige, glaubt ihre Gemeinde. Aber Ideologien kommen und gehen. Der Begriff des „Demokratismus“ dagegen hat sich nie so recht etabliert: Warum ist die Demokratie vermutlich keine Ideologie? Roger de Weck antwortet: „Weil sie weder ein Heilsversprechen beinhaltet noch Sinn stiftet noch eine klare Ordnung der Gesellschaft und Wirtschaft vorsieht.“

Sie lebt mehr vom parlamentarischen Alltag als von einer eindrucksvollen Vision. Demokratie ist das, was Ideologen widerstrebt: eine Balance-Übung, prekär und pragmatisch, weit beweglicher und deshalb eher stabiler als andere politische Systeme. Roger de Weck erklärt: „Wohldosiert sollen das Volk, die Volksvertreter, die Staats- und Regierungschefs, Minister, Richter und Zentralbank-Gouverneure so weit an der Staatsmacht teilhaben, dass weder eine Lähmung noch der Autoritarismus droht.“ Regierende sollen nicht willfährig verwalten, aber auch nicht willkürlich gebieten – sondern regieren. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies