Der Krieg wirft alles nieder

Die vom Krieg entfesselte Zerstörungskraft löst soziale Bindungen auf und führt zu Zorn, Rache und Misstrauen. Es ist sogar unklar, ob Wiedergutmachung überhaupt noch möglich ist. Der Krieg unterminiert nicht nur die in der Vergangenheit aufgebauten Beziehung, sondern auch die Möglichkeit einer zukünftigen friedlichen Koexistenz. Sigmund Freud bemerkt: „Der Krieg wirft nieder, was ihm im Wege steht.“ Judith Butler fügt hinzu: „In der Nichtbeachtung von Einschränkungen liegt für ihn tatsächlich eines der Ziele des Krieges. Die Soldaten müssen die Erlaubnis zum Töten bekommen.“ Was der Krieg als Erstes zerstört, sind die Einschränkungen, denen die Zerstörung unterliegt. Das unausgesprochene Ziel des Krieges liegt in der Vernichtung der sozialen Grundlage der Politik selbst. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Im Krieg ist blinde Wut am Werk

Diese Behauptung mag übertrieben erscheinen, wenn man beispielsweise an gerechte Kriege glaubt, etwa an Kriege gegen faschistische oder völkermörderische Regime im Namen der Demokratie. Selbst dann aber sind das explizite Kriegsziel und die vom Krieg entfesselte Destruktivität nie ganz dasselbe. Auch der sogenannte „gerechte Krieg“ geht mit dem Risiko von Zerstörungen einher. Diese reichen über das ausdrückliche Kriegsziel, seinen wohl erwogenen Zweck, hinaus.

Judith Butler stellt fest: „Was immer der öffentliche und benannte Zweck eines Krieges sein mag. Es ist immer auch etwas anderes am Werk, das Sigmund Freud als „blinde Wut“ bezeichnet.“ Diese Wut treibt ein kriegsführendes Volk oder eine kriegsführende Nation an und eint sie sogar. Sie reißt sie jedoch auch auseinander und richtet sich gegen ihre bewussten Ziele der Selbsterhaltung und Selbsterweiterung. Diese Art Wut soll vorrangig bestehende Verbote und Beschränkungen der Zerstörung selbst überwinden.

Die Menschheit kann sich bis auf den letzten Mann ausrotten

Die „blinde Wut“, die Sigmund Freud aus der griechischen Tragödie aufnimmt, weist auf den „Todestrieb“ voraus. Von diesem wird er fünf Jahre später sprechen. Schon 1915 sorgt er sich über die Macht, die der Todestrieb gewinnt, wo er Zerstörungstechnologien in den Dienst nimmt. So bringt er Vernichtung über die ganze Welt und reißt die sozialen Bindungen nieder, welche die Destruktion in Schach halten können. Im Jahr 1930 gilt seine Sorge ausdrücklich dem Völkermord, wie in „Das Unbehagen in der Kultur“ zu sehen ist.

Hier schreibt Sigmund Freud: „Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, dass sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten.“ In der Ausgabe von 1931 fügt er noch die Hoffnung hinzu, dass „der ewige Eros eine Anstrengung machen wird, um sich im Kampf mit seinem ebenso unsterblichen Gegner zu behaupten“. Aber niemand, so Sigmund Freud, kann den Ausgang dieses Kampfes voraussehen. Quelle: „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ von Judith Butler

Von Hans Klumbies

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