Alexis de Tocqueville fragt in den 1830er-Jahren, was eigentlich passiert, wenn sich in der Demokratie das Geld zum höchsten erstrebenswerten Gut und Selbstzweck entwickelt. Denn es tritt damit an die Stelle von Stand und Ehr, die Aristokratien über alles andere stellen. Alexis de Tocqueville schreibt: „Die Menschen, die in demokratischen Zeiten leben, haben viele Leidenschaften. Aber die meisten ihrer Leidenschaften münden in der Liebe zum Reichtum, oder sie entspringen ihr. Das rührt nicht daher, dass sie kleinmütiger sind, sondern dass das Geld tatsächlich wichtiger ist.“ Richard David Precht erklärt: „Die ständige Fokussierung auf das Geld prägt die US-amerikanische Gesellschaft wie nichts anderes und ist, wie Tocqueville früh erkennt, das Stigma aller zukünftigen Demokratien.“ Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.
Geld strukturiert das Leben
Materielle Gier entwickelt sich zur gesellschaftlichen Passion. Die Heftigkeit ihrer Konsumwünsche beunruhigt das Gemüt und bringt zugleich Ordnung ins Dasein. Geld als oberster Wert und Wertmaßstab demokratisiert. Denn vor dem Geld sind alle althergebrachten Unterschiede zwischen den Menschen zweitrangig. Geld strukturiert zugleich das Leben, denn es ordnet alles nach dem Kriterium von „viel“ und „wenig“. Aber Geld führt dazu, dass Menschen sich auf das Materielle konzentrieren und sich weniger um das Gemeinwohl sorgen.
Richard David Precht kritisiert: „Je mehr der Wohlstand steigt, umso unpolitischer werden die Menschen. Und je mehr die Gier nach Konsum das Leben bestimmt, umso blasser wir das politische Bewusstsein der Bürger.“ Doch genau darauf ist der liberal-demokratische Staat angewiesen. Ein Land, in dem der Individualismus nur noch in der Form des Egoismus auftritt, wird brüchig und instabil. Die Zeichen des Verfalls in einer Gesellschaft steigen an, je mehr sich ihre Bürger nur noch mit dem eigenen ökonomischen Vorteil beschäftigen.
Der Kapitalismus schützt das Eigentum
Richard David Precht stellt fest: „Was die föderale Struktur an Freiheitlichkeit schenkt, fressen die schnöde materielle Gier und das politische Desinteresse wieder auf. Aus Staatsbürgern werden Konsumenten. Und statt Gemeinsinn regiert der Eigennutz.“ Doch wenn sich die Bürger millionenfach von ihrer Solidarität mit anderen verabschieden, reagieren am Ende gar nicht sie das Land, sondern die Wirtschaft und eine despotische Verwaltung.
Der Kapitalismus kennt aus seiner Funktionslogik heraus nur zwei Ziele: den Profit zu mehren sowie Besitz und Eigentum zu schützen. Deshalb setzen sich seine Sachverwalter dafür ein, freie und möglichst unbegrenzte Märkte zu schaffen. Diese nehmen auf kulturelle Eigenheiten, Religionen, Ländergrenzen, Nationen und Traditionen keine Rücksicht. Richard David Precht fügt hinzu: „Gesichert muss nur sein, dass das Eigentum geschützt werden kann, von Rohstoffen und Ressourcen über Geld bis hin zu geschützten Ideen.“ Quelle: „Von der Pflicht“ von Richard David Precht
Von Hans Klumbies