Das Ende des Kalten Krieges ging tendenziell gewaltfrei vonstatten

Nach dem überraschenden Ende des Kalten Krieges, der Europa vier Jahrzehnte lang in Bann gehalten hatte, schien vieles möglich, was zuvor als ausgeschlossen galt. Denn die Umwälzung dieses Ausmaßes ging tendenziell gewaltfrei vonstatten. Zudem konnte ein waffenstarrendes System buchstäblich über Nacht implodieren. Die Politik löste die eben noch schwer bewachten Grenzen mit einer nie erlebten Leichtigkeit auf. Herfried Münkler fügt hinzu: „Die bewaffnete Konfrontation beider Blöcke hatte sich binnen weniger Monate in nichts aufgelöst, und die vormaligen Feindschaften erschienen mit einem Mal als ein einziges großes Missverständnis.“ Von diesem wusste im Nachhinein keiner mehr so recht zusagen, weswegen es eigentlich so lange das politische Denken und Empfinden beider Seiten bestimmt hatte. Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa „Imperien“ oder „Die Deutschen und ihre Mythen“.

Europa brachte den Krieg als Mittel der Politik zum Verschwinden

Herfried Münkler stellt fest: „Das machte auch die zuvor als utopisch angesehene Idee plausibel, das Militär aller Staaten nicht nur deutlich zu reduzieren, sondern so weit abzurüsten, bis es auf einen Restposten zusammengeschrumpft war, der nur noch symbolische Bedeutung hatte.“ Die Vorstellung von einem Militär, das den repräsentativen Rahmen bei Staatsempfängen bildete, aber nicht gegen andere Staaten einsetzbar war, machte die Runde.

Europa war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Schauplatz der furchtbarsten Kriege in der jüngeren Geschichte geworden. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts hatte es den in globaler Hinsicht am stärksten militarisierten Raum dargestellt. Und dennoch sollte Europa zum Ausgangspunkt einer Veränderung werden, die den Krieg als Mittel der Politik zum Verschwinden brachte. Herfried Münkler erläutert: „Eine der größten Menschheitsutopien, deren Anfänge bis zu den biblischen Propheten und den römischen Dichtern des augusteischen Zeitalters zurückreichen, schien Wirklichkeit zu werden.“

Die Bundesrepublik baute wirtschaftliche Macht auf

Realistisch war zunächst die Zielsetzung eines „Friedens mit immer weniger Waffen“, was politisch durch die anlaufende Truppenentflechtung der beiden Militärblöcke ohnehin auf der Tagesordnung stand. Herfried Münkler weiß: „Das betraf als Erstes die Deutschen, die nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zeitweise mehr als eine Dreiviertelmillion Mann unter Waffen hatten.“ Infolge der in der Bundesrepublik und der DDR bestehenden Wehrpflicht verfügten sie über große, im Konfliktfall mobilisierbare Reserven.

Die Arsenale Deutschlands waren mit Panzern unterschiedlichster Typen, Artillerie- und Raketensystemen, Kampfbombern und Abfangjägern prall gefüllt. Eine derart überdimensionierte deutsche Armee hätte nach dem Abzug der Sowjets aus Mitteleuropa und der Reduzierung der US-Truppen im Westen bei den europäischen Nachbarn größte Sicherheitsbedenken ausgelöst. Schon deshalb musste man sie abrüsten. Denn seit den 1950er Jahren lief der politische Konsens in Westeuropa darauf hinaus, dass die Bundesrepublik zwar wirtschaftliche Macht aufbaute, nicht aber militärische. Quelle: „Welt in Aufruhr“ von Herfried Münkler

Von Hans Klumbies