Identitätspolitik darf keine Kampfzone sein

Es gibt das Kollektiv, und gleichzeitig ist dieses eine Illusion. Und damit ist Identitätspolitik auch etwas, das auf unterschiedliche Art und Weise von Menschen praktiziert wird. Übrigens auch von denjenigen, die das bisher Gängige zu schützen versuchen und wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Hadija Haruna-Oelker ergänzt: „Auch die Norm und ein was normal ist erhalten zu wollen beschreiben einen identitätspolitischen Zustand.“ Wie also miteinander umgehen, übereinander sprechen und miteinander sein? Am Ende geht es ganz simpel um diese Fragen. Hadija Haruna-Oelker plädiert dafür, nicht gleich eine Kampfzone daraus zu machen. Die erste Prämisse wäre: nicht davon ausgehen, dass es primär um Erlaubnisse oder Verbote geht. Hadija Haruna-Oelker lebt als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich arbeitet sie für den Hessischen Rundfunk.

Kritik ist das Gegenteil von Cancel Culture

Laut Hadija Haruna-Oelker geht es meistens um Aufarbeitung, Anerkennung und Fragen der Verantwortung für eine gute Gemeinschaft. Identitätsfragen sind genau das Gegenteil von einfach. Hadija Haruna-Oelker glaubt, dass es bei Entscheidungen, die sich auf das eigene Handeln oder Sprechen beziehen, immer darauf ankommt, wie sehr man sich selbst mit einem Kontext, gesellschaftlichen Strukturen und Botschaften dahinter auseinandergesetzt habe und im Anschluss dazu stehe. Entscheidungen sind persönliche Schritte.

In einer demokratischen Gesellschaft können Menschen fast alles machen, sagen und tun, aber müssen mit einer möglichen Kritik daran leben. Hadija Haruna-Oelker betont: „Kritik an bestimmten Entscheidungen ist also das Gegenteil von Cancel Culture.“ Für eine differenzierte Auseinandersetzung taugen aufgeheizte Pro-und-contra-Fragen, die sich scheinbar mit einfachen Verboten beschäftigen, in den wenigsten Fällen, sind aber sehr beliebt. Daneben existiert eine Technik, öffentliche Debatten umzulenken, weg vom eigentlichen Thema.

Das Akzeptieren von Grautönen kostet Einsatz

„Die Werkzeuge der Herrschenden werden das Haus der Herrschenden niemals einreißen“, schrieb die amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde und appellierte, machtvolle Systeme mit alternativen und nicht den gleichen Mitteln der Unterdrückenden aufzulösen. Hadija Haruna-Oelker weiß: „An Frauen und Personen, die als solche gelesen werden, richtete sie ihren Appell, ihre Differenzen nicht zu ignorieren oder als etwas Trennendes zu begreifen, sondern sie anzuerkennen und aus ihnen eine Stärke zu formen.“

Es kostet Einsatz, sich mit den Grautönen zwischen polarisierenden Polen zu beschäftigen, wenn man an dieser Gesellschaft feilen will. Hadija Haruna-Oelker stellt fest: „Nach dem echten Kern des Problems zu fragen, Perspektiven und die eigene Position zu wechseln und zu hinterfragen, worin die Gründe für Unverständnis und Unvereinbarkeit einer Debatte liegen, ist nicht leicht.“ Die Antworten auch mal sacken und nachwirken zu lassen und nicht gleich gegenzuhalten, das erfordert Ausdauer. Quelle: „Die Schönheit der Differenz“ von Hadija Haruna-Oelker

Von Hans Klumbies

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