Freiheit kann ein Irrglaube sein

Laut Isaiah Berlin fühlt ein Mensch sich eben in dem Maße frei, in dem er glaubt, er sei seiner selbst bewusst, kontrolliere den eigenen Willen und sein handlungsfähig. Katia Henriette Backhaus erklärt: „Berlins These nach handelt es sich bei diesen Annahmen um einen Irrglauben. Freiheit wird nur vorgetäuscht. Weil Selbstbestimmung im Endeffekt nichts anderes ist als nur wieder eine Form der Herrschaft über das Selbst ist.“ Das dominierende Selbst, welches das Moment im Inneren beherrscht, ist für Isaiah Berlin das zentrale Problem. Es setzt eine Spaltung der Persönlichkeit in einen transzendenten, dominierenden Kontrolleur einerseits und das empirische Bündel von Wünschen und Leidenschaften andererseits voraus. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

Isaiah Berlin spricht von einem „idealen Selbst“

Das empirische Bündel ist in der Freiheitstheorie laut Katia Henriette Backhaus als Problem wohlbekannt. Aus Lastern, Leidenschaften, triebhaften Bedürfnissen und Irrationalem geschürt, ist es vielen Theoretikern ein Hindernis für die Konzeption einer selbstbestimmten Freiheit gewesen. Weshalb ist nur für Isaiah Berlin gerade das Gegenteil, die Unterdrückung dieses Bündels, ein Problem? Seine Kritik speist sich aus einer starken Interpretation des „dominierenden Selbst“. Anfänglich schlicht als Vernunft verstanden, steigert sich Isaiah Berlin schnell dazu, von einem „wirklichen“ oder „idealen Selbst“ zu sprechen.

Isaiah Berlins weiterführende These ist, dass die allgemeine Form des Wunsches nach Selbstbestimmung zwei spezifische Formen angenommen hat. Diese bezeichnet er als Selbstverleugnung und als Selbstverwirklichung. Die Selbstverleugnung ist für ihn ein Beispiel für die Freiheitsgefahr. Isaiah Berlin schreibt: „Ich muss mich von Wünschen frei machen, von denen ich weiß, dass ich sie nicht verwirklichen kann.“ Dieses Motto stellen laut Isaiah Berlin jene voran, die sich in sich selbst zurückziehen.

Die Autonomie bleibt ein hohes und erstrebenswertes Gut

Diese Einstellung kommt der stoischen Position nahe: „Ich trete gleichsam einen strategischen Rückzug in eine innere Zitadelle an – in meine Vernunft, meine Seele, mein noumentales Selbst –, die von einer äußeren Macht oder menschlicher Bosheit auf keine Weise eingenommen werden kann.“ Eine solche Haltung betont nicht zuletzt den hohen Wert, den Menschen ihrer Autonomie zuschreiben. Bevor sie ihre Wünsche fremdbestimmen lassen, möchten sie lieber selbst bestimmen, was sie nun nicht mehr wünschen.

Denn sie können diese Wünsche nicht aus eigener Kraft erreichen. Katia Henriette Backhaus betont: „Autonomie, die den freien Willen, das eigenständige Setzen von Werten und Zwecken umfasst, bleibt auch unter schwierigen Umständen ein hohes und erstrebenswertes Gut.“ Doch es ist nicht nur die äußere Tyrannei gemeint, die den Menschen diktiert, was sie zu wünschen und zu lassen haben. Auch die Selbstbefreiung von inneren Autoritäten zählt für Isaiah Berlin als Form der Selbstverleugnung. Quelle: „Nachhaltige Freiheit“ von Katia Henriette Backhaus

Von Hans Klumbies