Der Mensch gilt als „Bürger zweier Welten“

Warum macht das Nachdenken über den Menschen es immer wieder nötig, das Offensichtliche seiner Zugehörigkeit zur Natur hervorzuheben? Volker Gerhardt stellt fest: „Vermutlich ist es die im Nachdenken eingenommene reflexive Distanz. Sie lässt es als selbstverständlich ansehen, dass sich das Denken prinzipiell von der Natur unterscheidet.“ Sowohl in ihrer physischen Materialität wie auch in ihrer kausalen Determination steht die Natur der freien Spiritualität des Intellekts in auffälliger Opposition gegenüber. Die Welt scheint spätestens mit dem Auftritt des menschlichen Denkens in zwei Sphären auseinanderzufallen. So hat man sich daran gewöhnt, den Menschen teils als göttlich oder geistig, teils als natürlich anzusehen. Er gilt als „Bürger zweier Welten“. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Seele und Geist werden als unsterblich angesehen

Der Mensch ragt mit seinem Bewusstsein in die Welt des Geistes hinein. Mit seinem Körper oder Leib gehört er jedoch voll und ganz zur Welt der Natur. Das hat eine Vielzahl von Konsequenzen, vor allem die, dass der Körper als so vergänglich gilt wie alle anderen Naturwesen. Seele und Geist hingegen werden als unsterblich angesehen, obgleich sie in ihren Erscheinungen und Erträgen flüchtiger sind als die materiellen Vorkommnisse in der Natur.

Die Unterscheidung zwischen spirituellem Bewusstsein und materieller Natur gehört nicht nur zum Gemeingut der Religionen. Sondern sie ist auch mit dem Alltagserleben der Menschen eng verbunden. Volker Gerhardt nennt ein Beispiel: „Menschen geloben sich ewige Treue, ohne damit leugnen zu wollen, dass ihre Körper jederzeit sterben können.“ Tatsächlich gibt es Leistungen des Geistes, die in Bereiche vorstoßen, von denen man noch nicht einmal denken kann, was in ihnen jemals anders sein könnte.

Es herrscht ein Dualismus von Natur und Geist

Im Alltag der Menschen herrscht ein selbstverständlich gewordener Dualismus von Natur und Geist. Er stellt sich in der Selbstreflexion des Menschen ein, ohne jedoch plausibel, geschweige denn zwingend zu sein. Dass der Mensch Begriffe verwendet, die an eine grundsätzliche Entfernung aus der Welt denken lassen, ist hinreichend bekannt. Aber wer mit Ausdrücken wie „Jenseits“, „Transzendenz“ oder „Ewigkeit“ eine Bedeutung verbindet und dabei glaubt, die „Natur“ hinter sich lassen zu können, der sagt mehr, als er kenntlich machen kann.

Volker Gerhardt erklärt: „Wo die Grenze der Natur verlaufen könnte, die man in Gedanken überschreiten können müsste, um sich außerhalb von ihr zu befinden, ist nicht bekannt. Auch was dann „außerhalb“ oder „befinden“ noch bedeuten könnte, vermag niemand zu sagen.“ Hinzu kommt, dass alles, was über das „Jenseits“ gesagt wird, von Personen gedacht wird, die im Diesseits stehen und nur die darin bestimmende Natur kennen. Sie setzen naturgemäß Mittel wie die Erkenntnis, die Vorstellung und die Logik ein. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies