Karlheinz A. Geißler singt ein schönes Loblied auf den Sonntag

Karlheinz A. Geißler behauptet: „Eile macht unsozial, unbarmherzig und hart.“ Mit dem Zeitdruck sinkt die Bereitschaft zu fürsorglichem, prosozialem Verhalten. Eilende, gestresste und gehetzte Menschen zeigen weniger Hilfsbereitschaft als diejenigen, die sich nicht unter Zeitdruck fühlen. Dass Barmherzigkeit eine Sache des menschlichen Charakters ist, war bekannt, dass sie daneben aber auch eine Sache des Zeitdrucks ist, macht Karlheinz A. Geißler nachdenklich. Mit Recht sind die Europäer stolz darauf, was sie im Hinblick auf die Zivilisierung und Kultivierung bisher erreicht haben. Karlheinz A. Geißler stellt sich allerdings die Frage, was aus der Humanität, dem Sinn für Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe werden soll, wenn die Menschen immer mehr unter Zeitdruck geraten, kontinuierlich schneller werden und dazu noch alles tun, um mit noch mehr Geschwindigkeit durchs Leben zu rasen. Professor Dr. Karlheinz A. Geißler lehrt, lebt und schreibt in München. Eine der amüsantesten Erfindungen der Menschheit, die Zeit, hat er zu seinem Lebensthema gemacht.

Der Sonntag verleiht dem  sozialen Leben einen Rhythmus

Karlheinz A. Geißler zitiert ein Sprichwort, aus dem hervorgeht, welch` teuflische Existenz die meisten Menschen in den modernen Gesellschaften führen. Es lautet: „Gott hat die Zeit erschaffen, der Teufel die Zeitnot, die Hetze und die Eile.“ Viele Menschen leben in verteufelt schnellen Zeiten, zumindest sechs Tage die Woche, manche gönnen sich am siebten Tag auch noch keine Ruhe. Dabei dürfte es zum Allgemeinwissen gehören, dass die Arbeitsleistung, gemessen an der Produktionsmenge, nicht nur davon abhängt, wie lange gearbeitet wird, sondern auch davon, wie lange nicht gearbeitet wird.

Wenn ein Unternehmen also die Erhöhung der Produktivität anstrebt, auf die Leistungsbereitschaft seiner Mitarbeiter Wert legt und den Betriebsablauf von Unterbrechungen und Störungen möglichst frei halten möchte, ist laut Karlheinz A. Geißler gut beraten, mindestens einen Tag in der Woche zum kollektiven Ruhetag zu erklären. Karlheinz A. Geißler schreibt: „Der die Woche als Zeiteinheit konturierende herausgehobene Tag, den christlich geprägte Kulturen auf den Sonntag legten, ist die produktive Lücke im Getriebe, die die Menschen und die Gesellschaft zur Besinnung bringt und die dem sozialen Leben einen Rhythmus verleiht.“

Die Tradition eines regelmäßigen Feiertages ist rund 5.000 Jahre alt

Der arbeitsfreie Sonntag ist für Karlheinz A. Geißler der Zwischenraum, der dem nicht immer freiwilligen Dauerlauf durchs Leben Einhalt gebietet und hiermit den Blick auf jene Dinge öffnet, an denen der gehetzte Mensch im Alltagsstress vorbeirennt. Karlheinz A. Geißler ergänzt: „Ohne einen besonderen, herausgehobenen Wochentag wäre die Wocheneinteilung hinfällig, sie hätte ihren Sinn verloren. Die Woche würde als kalendarische Zeitsituation nicht weiter existieren.“

An der Tradition eines regelmäßigen Feiertages, die vor rund fünftausend Jahren begann, hat sich bis heute fast nichts geändert. Bei den Christen ist der Sonntag derjenige Tag, der dem Sozialen, dem Gesellschaftlichen, dem Kult und der Kultur gewidmet ist. Karlheinz Geißler fügt hinzu: „Wenn wir dieser Tradition 5.000 Jahre treu geblieben sind, dann deshalb, weil sie anerkannt und immer wieder neu bestätigt, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, dass er Gemeinschaft zum Lebensmittel braucht.“ Der Sonntag ist keine Erfindung der Kirchen, sondern von Gesellschaft und Gemeinschaft.

Von Hans Klumbies