Geist und Kultur gehören zusammen

Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass der Mensch ein Naturwesen ist und somit zur Natur gehört. Strittig ist lediglich, in welchem Umfang dies der Fall ist und wo man die Grenze zu dem ziehen kann, was nicht oder nicht mehr zur Natur gehört. Einer der letzten philosophischen Autoren, die meinten, hier eine definitive Antwort geben zu können, ist Max Scheler. Dieser glaubte im ausdrücklich gesprochenen „Nein“ des Menschen den Übertritt in eine andere, nicht mehr zur Natur gehörende Sphäre des Geistes entdeckt zu haben. Volker Gerhard betont: „Vom Geist zu sprechen liegt so nahe wie die Rede von der menschlichen Kultur.“ Fraglich ist nur, ob beide derart prinzipiell von der ihr zugrundeliegenden Natur abzugrenzen sind. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Eine Sphäre jenseits der Natur ist nicht denkbar

Friedrich Nietzsche, so denkt Volker Gerhardt, war hier klüger. Denn er lässt seinen Zarathustra sagen: „Geist ist das Leben, das selber ins Leben scheidet. An der eigenen Qual mehrt es sich, das eigene Wissen.“ Das Spiel lehrt den Menschen, auch das eigene Können hinzuzufügen. Gegen eine kategorische Separierung Natur, Kultur und Geist spricht allein, dass ein von der Natur grundsätzlich abgehobenen Sphäre gar nicht zu denken ist. Denn beide, Geist wie Kultur, würden ihre Eigenschaften verlieren, wollte man sich aus der Natur zu entfernen suchen.

Beide bleiben in ihrer sachlichen Ausrichtung nicht nur auf die Natur bezogen. Sie arbeiten sich vielmehr unablässig an ihr ab. Dabei lassen immer wieder die Mühe erkennen, nicht in bloße Natur zurückzufallen. Daraus den Schluss zu ziehen, sie wollten im Ganzen aus der Natur heraus oder würden, wie auch immer, über ihr stehen, ist ein Missverständnis. Sie sind beide Faktoren der Natur. Sie lassen die Menschen erkennen, dass vor allem auch die Reflexivität zum unerhörten Formenreichtum der Natur gehört.

Jeder Organismus ist reflexiv verfasst

Volker Gerhardt erläutert: „Jeder Organismus ist reflexiv verfasst. Längst hat uns die soziologische Systemtheorie daran gewöhnt, auch Gesellschaften in ihren reflexiven Mechanismen zu beschreiben.“ Die Verfahren des Geistes sind vielfach durch Logik, Semantik, Metaphorik und Rhetorik beschrieben. Deshalb dürfte es nicht befremden, auch hier Mechanismen am Werk zu sehen. Auch diese können in striktem geistigem Sinn des Wortes als reflexiv angesehen werden.

Die auf verschiedenen Ebenen erkennbare Verbindung von Natur und Geist lässt sich auch systematisch rekonstruieren. Der Mensch hat einen den physikalischen Gesetzen unterstellten Körper. Er ist mit dessen organischen Beschaffenheit den biologischen Bedingungen unterworfen und hat eine Verletzbarkeit und Bedürftigkeit, die ihn von einer ihn schützenden und erhaltenden Umwelt abhängig macht. Zudem ist er in seiner sozialen Konstitution auf seinesgleichen angewiesen und verfügt auch über sich differenzierende Möglichkeiten des psychischen Erlebens. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies