Ohne Freiheit ist Verantwortung nicht möglich

Ina Schmidt schreibt: „Freiheit ist sowohl eine Voraussetzung für verantwortliches Handeln als auch immer wieder ein Hindernis, klare verallgemeinerbare Regelungen im Sinne des vermeintlich Guten durchzusetzen.“ Immer wieder ist es der Verweis auf das hohe Gut der Freiheit, die so mancher ethischen Debatte oder moralischen Vorstellung den Riegel vorschiebt und andererseits die Diskussion darum überhaupt erst eröffnet. Das als gut Anerkannte gebietet möglicherweise eine bestimmte Handlungsweise. Dennoch hat jeder in vielen moralischen Fragen die Freiheit, sich auch anders zu entscheiden. Es geht bei jeder Form von Verantwortung nicht nur um den Schutz, sondern auch um den Gebrauch der eigenen Freiheit. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

Die Verwahrlosung der Natur scheint kein Problem zu sein

So entsteht ein beständiges Wechselspiel aus einer Praxis der Freiheit und dem verantwortlichen Umgang mit ihr. Diesem kann man sich nicht entziehen. Schlicht, weil es immer mehr Möglichkeiten im eigenen Handeln gibt, als man verwirklichen kann. Dieses Wechselspiel aber im Sinne der Verantwortung ernst zu nehmen, bedeutet eben nicht die komplette Unabhängigkeit im eigenen Tun. Sondern es umfasst die Fähigkeit, das eigene Handeln auf einen größeren Kontext zu beziehen, in dem das Gute nicht vorrangig an das Eigene gekoppelt ist.

Ina Schmidt stellt fest: „Für die einen bedeuten einschränkende Maßnahmen zum Wohle aller einen verurteilenswerten Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte. Für die anderen ist aber genau dieser Eingriff die notwendige Folge einer gemeinsam zu bewältigenden Situation oder besonderen Herausforderung.“ Ein Kind verwahrlosen zu lassen, gilt allgemein als unverantwortlich, die Verwahrlosung der Natur scheint dagegen kein Problem zu sein. Denn einen Wald für eine Autobahn zu opfern ist gängige Praxis und die Ausrottung unzähliger Tierarten eine Art Begleiterscheinung.

Uneingeschränkte Freiheit ist nicht möglich

Die Be- und Einschränkung der individuellen wie kollektiven Freiheit politisch und gesetzlich durchzusetzen, ist eine der schwierigsten Aufgaben in einer Demokratie. Bei der Bekämpfung einer weltweiten Pandemie ist dieser Schritt möglich und wohl auch nötig geworden. Hat der Homo sapiens je in der Menschheitsgeschichte uneingeschränkte Freiheit genossen – ja, geht das überhaupt? Ina Schmidt antwortet: „Nein, ganz sicher nicht. Wir leben, solange wir denken und solange wir Kulturen belegen können, umgeben von Einschränkungen.“

Im Jahr 2020 kann man in Deutschland bestimmte Dinge tun oder muss sie unterlassen. Auch die Tatsache, dass man verpflichtet ist, zur Schule zu gehen, Steuern zu zahlen oder eine Krankenversicherung abzuschließen, bedeutet eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Und die deutschen Gesetzbücher sind voller Vorschriften, die eine freie Entscheidung unmöglich machen beziehungsweise sie sanktionieren. Ähnlich wie bei der Verantwortung hat man es auch bei der Freiheit mit unterschiedlichen Vorstellungen und Begriffen zu tun. Quelle: „Die Kraft der Verantwortung“ von Ina Schmidt

Von Hans Klumbies