In der Demokratie gilt politische Gleichheit

Autoritäre Rechtspopulisten geben zu verstehen, dass nicht alle Bürger Teil des wahren Volkes seien. Vielmehr gehörten manche gar nicht wirklich dazu oder wären bestenfalls Bürger zweiter Klasse. Hier wird ein demokratisches Grundprinzip verletzt. Jan-Werner Müller erklärt: „In einer Demokratie müssen die Bürger die Erfahrung von politischer Gleichheit machen.“ Manchen Menschen gilt die Demokratie als etwas Gutes, weil sie Wohlstand und Frieden sichert. Deshalb könnte man sie ja aufgeben, falls ein anderes System Wohlstand und Stabilität noch effektiver bietet. Zum Beispiel eine Idealversion des autoritären China. Also eines Systems, dessen Versprechen von Wohlstand und gesellschaftlicher Harmonie wirklich eingelöst wären. Viele Menschen wollen jedoch nicht in einer Gesellschaft leben, in der manche als den anderen grundsätzlich überlegen gelten. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

Gleichheit zählt zu den menschlichen Grundbedürfnissen

Diese Menschen haben gute Gründe, die Demokratie selbst noch einem Autoritarismus mit sehr menschlichem Antlitz vorzuziehen. Größere Leistungsfähigkeit schlägt dann nicht automatisch chaotische, langsamere und oft irrational erscheinende demokratische Verfahren. Man beachte, dass hier zwei verschiedene Arten von Gleichheitsverständnis im Spiel sind. Die eine handelt von gleichen Rechten, die andere von Gleichheit im Zusammenleben. Nämlich jener Ungezwungenheit im Umgang miteinander, die den anderen als prinzipiell ebenbürtig betrachtet.

Gerade das Fehlen von Ehrerbietung und Machtspielen im US-amerikanischen Alltagsleben hatte den französischen Aristokraten Alexis de Tocqueville so erstaunt. Schließlich stammte er aus einer Welt, in der Statusunterschiede das ganze Leben bestimmten. Jan-Werner Müller stellt fest: „Diese Art von Gleichheit entspricht einem starken menschlichen Grundbedürfnis, anderen auf Augenhöhe zu begegnen. Man möchte nicht sein Leben lang Kratzfüße und Verbeugungen machen. Und nicht ständig kalkulieren müssen, was andere von einem wirklich halten.

Willkürliche Herrschaft existiert immer noch

Solche auf Gleichheit basierende Beziehungen sind in einer nicht demokratischen – das heißt politisch hierarchischen – Gesellschaft per definitionem ausgeschlossen. Natürlich sind gleichberechtigte soziale Beziehungen auch in Ländern mit fairen und freien Wahlen nicht automatisch garantiert. Viele Bereiche des heutigen Lebens sind durch willkürliche Herrschaft und Grausamkeit gekennzeichnet. Das reicht von patriarchalischen Familien bis hin zu Unternehmen, in denen Beschäftigte sich einnässen. Denn es gibt nur eine begrenzte Zahl von Toiletten und es sind nur wenige Toilettengänge erlaubt.

Die Menschen, obwohl nominell gleichberechtigte Bürger eines demokratischen Staates, sind faktisch der Willkür der Mächtigen ausgeliefert. Nimmt man Gleichheit im Zusammenleben ernst, erweist sich eine klare Trennung zwischen offizieller Politik und der gelebten Erfahrung am Arbeitsplatz oder in der Familie als unmöglich. Jan-Werner Müller schränkt ein: „Das heißt nicht, dass es in allen Lebensbereichen demokratische Wahlen geben müsste, damit sie akzeptabel wären.“ Quelle: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ von Jan-Werner Müller

Von Hans Klumbies