Demokratien leben von kollektivem Lernen

Ein weiteres Merkmal politischer Gleichheit ist, was Danielle Allen als epistemischen Egalitarismus bezeichnet. Wie alle politischen Systeme sind Demokratien auf erfolgreiche, kollektive Praktiken des Lernens und des Wissensmanagement angewiesen. Nur so können die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Im Unterschied zu anderen Regierungsformen sind ihnen Verfahren zugänglich, welche die kollektive Entscheidungsfindung stärken. Denn sie können auf die Wissensressourcen der gesamten Bürgerschaft zurückgreifen. Daniele Allen stellt fest: „Menschen sind Schwämme, die Informationen über ihre Umwelt aufnehmen. Manche Schwämme sind besser als andere, aber saugfähig sind wir alle.“ Alle Menschen sind insofern gleich geschaffen, dass sie alle zum Aufsaugen bestimmt sind. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

Demokratien brauchen auch Experten

Wenn man diese Tatsache anerkennt, kann man eine kollektive Intelligenz entwickeln, die allem überlegen ist, was eine Einzelperson erreichen kann. Man kann sagen, jeder sei auf die gleiche Weise an dem Projekt beteiligt, Einblicke in den Verlauf des menschlichen Schicksals zu gewinnen. Das heißt natürlich nicht, dass jeder gleich gut darin ist, sondern lediglich, dass jeder die Fähigkeit besitzt, irgendeine Information aufzuschnappen oder irgendeine Beobachtung zu machen.

Diese könnte für das Gesamtbild relevant sein, weil sie bis dahin niemand anderes zur Kenntnis genommen hat. Manche Menschen schnappen mehr auf als andere, aber jeder schnappt etwas auf. Danielle Allen weiß: „Experten kommt in größeren demokratischen Gemeinschaften eine entscheidende Rolle zu. Aber der Wert ihrer Beiträge sollte nicht die Tatsache verdecken, dass Beiträge aus allen Ecken benötigt werden, um eine Gesamtsicht zu erlangen.“ Demokratien können die individuellen und kollektiven Fähigkeiten stärken.

Die politische Macht sollte dezentralisiert werden

In der Demokratie lässt sich das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft analysieren und in diesem Zusammenhang fällt man politische Urteile. Dabei bezieht man jeden in den Prozess der Verständigung über den Verlauf des menschlichen Schicksals mit ein. Durch die Entwicklung egalitärer Ansätze zur Wissensbildung können sie eine kollektive Intelligenz ausbilden. Diese ist allem überlegen, was Einzelne, ja sogar geschlossene Expertengruppen zu leisten vermögen.

Am wertvollsten sind für Danielle Allen Experten, wenn sie Hand in Hand mit einer gut ausgebildeten Allgemeinbevölkerung zusammenarbeiten. Denn diese ist in der Lage, nützliches soziales Wissen in die Beratungen einzubringen. Diese Art von egalitärer epistemischer Praxis kann die demokratische Entscheidungsfindung verbessern. Denn sie unterstützt das Abwägen von Entscheidungen in größerer Runde. Zudem erhöht der Einsatz solcher Praktiken auch die politische Gleichheit. Eine stärkere Einbindung der Bürgerschaft in die Politikgestaltung dezentralisiert zugleich die politische Macht. Quelle: „Politische Gleichheit“ von Danielle Allen

Von Hans Klumbies