Wer mit beiden Beinen in der realen Welt steht, der weiß: Werte gibt es nur im Doppelpack. Man kann sie nur im Mehr-oder-weniger, Sowohl-als-auch oder Mal-so-mal entscheiden. Diese „Fließgleichgewichte“ sind immer wieder neu zu justieren. Und worauf kommt es dabei an? Reinhard K. Sprenger antwortet: „Auf die Umstände. Und die sind nie stabil, erfordern eine flexible Prioritätenordnung, die man den wechselnden Sachlagen anpassen kann.“ Das Fließgleichgewicht lässt sich am Beispiel „Vertrauen“ illustrieren. Vertrauen ohne Misstrauen wäre gegenstandslos, beide wären sogar ununterscheidbar. Ein neugeborenes Kind weiß nicht, dass es vertraut. Das weiß es erst ab dem Moment, in dem sein Vertrauen unerfüllt bleibt. Von einem vorreflexiven Vertrauen träumt dann der Erwachsene. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.
Es gibt keine Freiheit ohne Zwang
Blindes Vertrauen dagegen ist die Sehnsucht nach dem Ende der Ambivalenz. Wäre es nicht schön, dem eigenen Partner bedingungslos vertrauen zu können? Ja, sagen die Stimmen, die innovative Kulturen mit Vertrauen, Fehlertoleranz und Experimentierfreude assoziieren. Allerdings sagt die Forschung, dass dies nur die eine Seite der Medaille ist, die sympathische. So braucht als Gegengewicht strenge Disziplin, Unnachsichtigkeit bei Inkompetenz, extreme Offenheit und hohe persönliche Verantwortung.
Ein weiteres, für Reinhard K. Sprenger besonders wichtiges Beispiel ist die Freiheit. Es gibt keine Freiheit ohne Zwang. Freiheit könnte man ohne Zwang gar nicht abgrenzen, gar nicht beschreiben. Es würde vollständige Unberechenbarkeit, Zufälligkeit und Chaos herrschen. Freiheit kann man überhaupt nur begreifen durch ihr Gegenteil. Sein Gegenspieler, die Unfreiheit, tritt in vielen Formen auf. Reinhard K. Sprenger nennt sie hier der Einfachheit halber „Grenzen“. Freiheit ist immer Freiheit „innen“, also innerhalb von Grenzen.
Gleichheit setzt Ungleichheit voraus
Demnach ist Freiheit ein graduelles Gut. Das ist in jeder Ehe und Partnerschaft so, in jeder Familie, sogar in jeder Freundschaftsbeziehungen. Auch in Unternehmen gibt es unterschiedliche Arten von Freiheit. Und ebenso in unterschiedlichem Maße – etwa im Verkauf anders als im Controlling. Freiräume sind Räume, und auch die sind begrenzt. Sonst könnte man eben nicht von Freiraum sprechen. Im politischen Kontext wird Freiheit oft in Kontrast zur Gleichheit gesetzt.
Aber auch Gleichheit ist ambivalent. Die Forderung nach Gleichheit setzt Ungleichheit voraus. Sonst brauchte man sie nicht. Diese Mehrdeutigkeit wird von der politischen Rechten gerne nach dem Grundsatz „So viel Freiheit wie möglich, so viel Gleichheit wie nötig“ organisiert. Umgekehrt neigt die politische Linke zu „So viel Gleichheit wie möglich, so viel Freiheit wie nötig“. Das gesellschaftliche Tauziehen darüber ist ein Mehr-oder-weniger-Konflikt um das richtige Maß. Es wird in einer Demokratie von Wahl zu Wahl prozedural geschlichtet. Quelle: „Magie des Konflikts“ von Reinhard K. Sprenger
Von Hans Klumbies