Martha Nussbaum fordert Gerechtigkeit

Um die Frage, was für ein gutes Leben wichtig ist, geht es Martha Nussbaum und Amartya Sen, die den „capabilities“-Ansatz maßgeblich entwickelt haben. Katia Henriette Backhaus erklärt: „Nussbaum versteht ihre Variante als Teil des politischen Liberalismus. Es gibt jedoch grundlegende Unterschiede zur Debatte um „greening liberalism“. Soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und die Lebensqualität stehen im Kern von Martha Nussbaums Überlegungen, die sich darum drehen, was eine Person fähig ist, zu tun und zu sein. Davon ausgehend bildet sie ihre Gerechtigkeitstheorie. Eine Kombination interner Fähigkeiten und externer Möglichkeiten macht den umfassenden Charakter dieses Ansatzes aus. Dieser fordert von Gesellschaft und Staat, diese beiden Aspekte menschlicher „capabilities“ zu gewährleisten. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main im Bereich der politischen Theorie promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

Amartya Sen betont den Aspekt des Prozesses der Freiheit

Zusätzlich dazu spielen die aktiven Realisierungen der Fähigkeiten oder Optionen eine wichtige Rolle, die „functionings“. Dieser Punkt hebt den Fähigkeitsansatz in der Diskussion um die „negative“ Freiheit der liberalen politischen Theorie hervor. Es gibt Menschen, die fordern vom Staat konkrete Maßnahmen, um allen Menschen bestimmte Optionen zu eröffnen und dabei je nach Bedarf manchen mehr Hilfe zukommen zu lassen als anderen. Diese Forderung stimmt mit der Vorstellung eines Staates, der allein die Freiheit des Einzelnen vor den Eingriffen anderer schützt, nicht überein.

Noch einen Schritt weiter geht das Konzept des „functionings“, das die konkrete Erfahrung der Freiheit – die Realisierung der Optionen – umfasst. Katja Henriette Backhaus erläutert: „Doch die Rolle dieses „functionings“ wird nicht klar ausgestaltet. Vielmehr bildet bei Nussbaum der Prozess des Entscheidens den Kern ihres „capabilities“-Ansatzes.“ In diesem Sinne spricht Amartya Sen von dem „apportunity aspect“ und dem „process aspect“ der Freiheit.

Ein gutes Leben muss sich entfalten und gedeihen können

Der erstere betont dabei die freie Wahl und das, was schließlich gewählt wird, spielt dabei keine Rolle. Der Aspekt des Prozesses dagegen lenkt das Augenmerk auf die Frage, inwiefern die Wahlhandlung selbst frei und ungezwungen ist. Martha Nussbaum versteht den Schutz bestimmter Freiheitssphären als zentrale Aufgabe ihres Ansatzes. Dabei macht sie einerseits die Verknüpfung zur liberalen politischen Theorie deutlich, lässt jedoch andererseits die Realisierung der Freiheitsoptionen aus dem Blickfeld verschwinden.

Eine vielleicht größere Ausweitung der Grenzen liberalen Denkens stellt der Ansatz dar, von einer substantiellen Vorstellung eines „guten Lebens“ im Sinne der Entfaltung oder des Gedeihens auszugehen. Dessen Vertreter sehen die Arbeiten von John Stuart Mill als zentralen Referenzpunkt. Sie lehnen eine liberal-neutrale Haltung gegenüber der Pluralität verschiedener Vorstellungen des „guten Lebens“ ab. Dabei geht es nicht darum, was jemand besitzt. Sondern es geht darum, inwiefern Menschen in der Lage sind, ihre Fähigkeiten zu entfalten und zu entwickeln. Quelle: „Nachhaltige Freiheit“ von Katja Henriette Backhaus

Von Hans Klumbies