In der Philosophie der Gegenwart wurden verschiedene Modelle entwickelt, um in der Struktur dessen, was Sigmund Freud „das Ich“ nennt, die menschliche Rationalität auszumachen. Der amerikanische Philosoph Robert Brandom spricht hier vom „Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen“ und er hat auch dafür plädiert, das Ich gleichsam als den allgemeinen Namen für Mitspieler an diesem Spiel aufzufassen. Markus Gabriel erklärt: „Ein Ich zu sein heißt, für die Beschreibungsebene zugänglich zu sein, auf der wir unsere Einstellungen zu uns selbst und zu anderen durch Gründe stützen und rechtfertigen.“ Sigmund Freud selber neigt leider häufig dazu, das Ich wie einen Homunculus zu behandeln, der seines Erachtens dadurch auf die Bühne tritt, das Wahrnehmungen im Menschen durch Reizungen entstehen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Sigmund Freud hat neben dem ich noch das Über-Ich und das Es eingeführt
Robert Brandom schlägt vor, das Ich als eine soziale Funktion zu verstehen, als die Beschreibungsebene sozialer Interaktion im Lichte der rechtfertigenden Rede. Markus Gabriel erläutert: „Damit hat man bereits einen Pfad zwischen Bündel- und Substanztheorie beschritten, da die Beschreibungsebene des Ich weder ein Bündel noch ein Träger mentaler Zustände ist.“ Jedes Ich beschreibt das gesamte Spiel von einem Standpunkt aus, den die anderen so nicht ohne weiteres teilen können.
Gerade von Sigmund Freud kann man lernen, dass das Ich dadurch individuell wird, dass Menschen Erfahrungen machen, die von Anderen mit Bewertungen versehen werden und die man dann als eine Gewohnheit übernimmt. Deswegen hat Sigmund Freud neben dem Ich noch das Über-Ich und das Es eingeführt. Markus Gabriel schreibt: „Das Über-Ich, das er auch als Ich-Ideal beziehungsweise als Ideal-Ich bezeichnet, bestimmt unsere Selbstbeschreibung als Ich, indem wir gewisse Verhaltensweisen und Einstellungen für akzeptabel oder sogar für geboten halten.“
Das Ich steht bei Sigmund Freud für das Realitätsprinzip
Das Über-Ich legt fest, was Menschen überhaupt als guten Grund durchgehen lassen, der es dem Ich erlaubt, eine gefühlsmäßige Einstellung zu anderen als berechtigt erscheinen zu lassen. Das Es hingegen ist Sigmund Freuds Name für die Triebe, wobei er zwischen Sexualtrieb (Eros) und Todestrieb (Thanatos) unterscheidet. Der Sexualtrieb strebt nach Selbsterhaltung, der Todestrieb nach Selbstauslöschung. Sigmund Freund ist übrigens der Meinung, dass sich diese beiden Triebe auch biologisch nachweisen lassen.
Auch „einfacheren Lebewesen“ attestiert Sigmund Freud eine Distinktion (Unterschied) von Ich und Es, „da sie der notwendige Ausdruck des Einflusses der Außenwelt ist“. Das Ich ordnet er auf dieser Ebene den Wahrnehmungen zu, die einen Realitätskontakt des Innenlebens des Menschen ermöglichen, während das Es sich der Anerkennung einer von ihm unabhängigen Wirklichkeit potentiell widersetzt, indem es eine Innenwelt ausbildet. Das Ich steht bei Sigmund Freud für das Realitätsprinzip, das heißt für den Umstand, dass Menschen in Kontakt mit Tatsachen stehen, an deren Bestehen beziehungsweise Zustandekommen sie nicht beteiligt sind. Quelle: „Ich ist nicht Gehirn“ von Markus Gabriel
Von Hans Klumbies