Die Philosophin Barbara Bleich gibt zu: „Nicht alle stören sich am selben.“ Wobei gewisse Störelemente wohl ungeteilt alle zur Weißglut bringen. Die Fahrleitungsstörung zum Beispiel, die uns alle zum Ausharren im stillstehenden Zug verdammt; die Warteschlange, die stagniert; viel zu langsames W-Lan oder – besonders unbeliebt – die surrende Stechmücke bei Nacht. Eine Störung wird umso ätzender, als sie nicht nachlässt, sondern immer wieder belästigt, plagt und triezt, bis der Geduldfaden reißt und man dem Quälgeist mit Maximaleinsatz beizukommen versucht. Wer allerdings an der Wahrheit interessiert ist, wird sich stets von Neuem aufstören lassen, ja aufstören lassen müssen, weil die inneren Fragen nicht zur Ruhe kommen. Die Philosophie ist, so könne man sagen, aus dem Willen zur Störung geboren – eine Störung freilich, die nicht bei der Dekonstruktion stehen bleibt, sondern stets die Konstruktion im Blick hat: den Aufbau einer gerechteren Gesellschaft und die Erkenntnis von Wahrheit.
Barbara Bleisch
Das Philosophie Magazin gibt Denkanstöße für das Jahr 2025
Die 31. Sonderausgabe des Philosophie Magazins enthält ausgesuchte Essays und Gespräche zu den großen Fragen unserer Zeit. Gegliedert ist das Heft in vier große Abschnitte: Das Ringen um die Ordnung, Wege ins Maschinenzeitalter, Aufwachen im Anthropozän und Orientierung im Denken. Der Philosoph Peter Sloterdijk und der Verfassungsrechtler Christoph Möller diskutieren darüber, ob es wirklich wünschenswert ist, den Handlungsspielraum des Einzelnen dem Wohl aller unterzuordnen. Peter Sloterdijk sagt: „Wir schauen auf ein Jahrhundert zurück, in dem Freiheitsrechte so stark misshandelt wurden wie nie zuvor.“ Christoph Möllers hat den Verdacht, dass die kollektive Freiheit schon den Primat der individuellen Freiheit voraussetzt. Die kollektive Freiheit ist für ihn nicht die Summe von individuellen Freiheiten, gemeint sind Spielräume, die man nur in der Interaktion mit anderen haben kann.
Von der Unruhe kommt man nicht so leicht los
Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2024 beschäftigt sich mit der Frage: „Wie komme ich zur Ruhe?“ Die Ruhe ist eine große Sehnsucht vieler Menschen, doch sie ist nur schwer zu erreichen, wie bereits die Stoiker in der Antike wussten. Heute inmitten digitaler Ablenkung, politischer Krisen und spätmoderner Leistungsansprüche scheint sie weiter entfernt denn je. Der Philosoph Ralf Konersmann schreibt: „Charakteristisch für die Situation ist unser ambivalentes Verhältnis zur Unruhe: Wir leiden unter ihr, möchten sie aber auch nicht missen. Ich habe deshalb die Unruhe, unsere moderne Unruhe, eine Passion genannt.“ Inzwischen sind jedoch Trends wie Arbeitszeitreduktion zugunsten der Familien oder die Priorisierung von Hobbys auf dem Vormarsch. Ralf Konersmann erkennt in solchen Initiativen den Versuch, Alternativen zu entwickeln. Dennoch haben auch sie das Potential, neue Unruhe zu erzeugen. Die Unruhe ist also etwas, von dem man nicht so leicht loskommt.