Der Mensch ist zum Untergang bestimmt

Der Mensch, so Zarathustra mit einer berühmt gewordenen Formulierung, „ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, – ein Seil über einem Abgrund“. Das Bild des Seils ist für Konrad Paul Liessmann so eindringlich wie schief. Der Mensch erscheint als Brücke, als Übergang zwischen den Existenzformen Tier und Übermensch. Darunter lauert ein Abgrund. Der Mensch ist Mensch nur auf Abruf, etwas Vorläufiges, der sich auf einem unsicheren Weg befindet. Er bewegt sich auf einem gefährlichen Hinüber, immer bedroht von einem gefährlichen Schaudern und Stehenbleiben. In diesem Sinne ist der Mensch zum Untergang bestimmt, denn er soll über sich hinausgehen können. Mit anderen Worten: Was jetzt noch Mensch heißt, soll verschwinden. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Der Mensch kann die Evolution in die eigenen Hände nehmen

Friedrich Nietzsches Zarathustra, der allen religiös motivierten Transzendenzerwartungen eine Absage erteilt, befleißigt sich selbst einer ähnlichen Metaphorik. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Transzendieren bedeutet das Überschreiten, das Hinübergehen. Bei Nietzsche gelangt man damit nicht mehr in eine religiös imaginierte Sphäre jenseits dieser Welt, sondern bleibt in dieser.“ Auch die Transzendenz kann sich nur in der Immanenz vollziehen. Ein Gedanke, der sich bei Friedrich Nietzsches Liebling Baruch de Spinoza findet.

Der Mensch soll sich als Bindeglied zwischen dem Tier und etwas Kommenden sehen, das er selbst entwirft und gestaltet. Damit antizipiert Nietzsche jenen Gedanken, der es in der Gegenwart zu einiger Prominenz gebracht hat. Konrad Paul Liessmann denkt dabei an das populärwissenschaftliche Buch „Homo Deus“ von Yuval Noah Harari. Die Menschheit, so die These, befindet sich in der Phase, in der sie die Evolution in die eigenen Hände nehmen kann.

Karl Marx bezeichnet die Religion als „Opium des Volkes“

Dabei darf sich die Menschheit selbst als göttlichen Kreator begreifen, der sich neu designen oder andere künstliche Entitäten, die den Menschen ablösen sollen, schaffen kann. Friedrich Nietzsches Zarathustra kennt – im Gegensatz zu den technophilen Posthumanisten der Gegenwart – auch das Abgründige der Konzeption. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Übermensch sein heißt stark genug sein, um auf jene überirdischen Hoffnungen verzichten zu können, welche die Giftmischer aller Religionen bereithalten: Jenseits, Transzendenz, Paradies, Himmel, Erlösung.“

Hier trifft sich Friedrich Nietzsche mit Karl Marx, der in seiner berühmten und berüchtigten Abhandlung aus dem Jahre 1843 die Religion als das „Opium des Volkes“ bezeichnet hatte. Bei Marx erscheint die Religion als eine Droge, die der Mensch selbst produziert, um seinem sozialen Elend etwas Betäubendes entgegenzusetzen. Bei Nietzsche dagegen wird das Gift den Menschen von jenen Priestern verabreicht, die es selbst durchaus besser wissen. Der Übermensch ist nur derjenige, der das Wagnis der Selbstüberschreitung auf sich nehmen will. Quelle: „Alle Lust will Ewigkeit“ von Konrad Paul Liessmann

Von Hans Klumbies

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