Friedrich Schiller macht Karl Moor zum Helden

Die Gestalt des Karl Moor in „Die Räuber“ (1781) von Friedrich Schiller weigert sich der Welt und den Winkelzügen, die sie ihm abverlangt, anzupassen. Er kann das Unrecht, das ihm angetan wird, nicht überwinden. Sein Gemüt bricht sich Bahn und er gerät mit seiner Welt auf Kollisionskurs. Friedrich Schiller macht ihn zu einem Helden. Er hat beschlossen für sich selbst und für andere Opfer der Ungerechtigkeit Rache an der verhassten, scheinheiligen Gesellschaft zu üben. Ger Groot fügt hinzu: „Dazu scheut er sogar nicht davor zurück, die schwersten Verbrechen zu begehen.“ Er gründet eine Räuberbande, er plündert und mordet. Aber er ist ein edler Verbrecher, der büer der verkommenen Welt steht, die seine Persönlichkeit missachtet. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Friedrich Schiller begräbt seine politischen Träume

Wer man ist, wird bei Friedrich Schiller nicht mehr durch die Stellung oder Geburt bestimmt, sondern durch die Innerlichkeit der Seele. Das Stück „Die Räuber“ feiert 1782 Premiere, also noch vor der Französischen Revolution. Es nährt sich jedoch von dem gleichen Drang, die überholten Formen gesellschaftlicher Konvention beiseitezuschieben. Friedrich Schiller erschafft einen neuen Menschen, der sein eigener Souverän ist. Politisch fand das seinen Abschluss in der revolutionären Idee der Volkssouveränität.

Anthropologisch entsteht die Idee, dass der Mensch sein eigener Schöpfer ist. Er besitzt nur aufgrund seines Eigenwertes und seine Authentizität seine Identität. Doch die Französische Revolution entartet zur Despotie, und Friedrich Schiller kommen seine politischen Träume abhanden. Stattdessen wendet er sich in den in den 1790er Jahren der Philosophie zu. Dabei studiert und kommentiert er vor allem Immanuel Kant. Dabei konzentriert er sich auf dessen ästhetische Einsichten.

Die Kunst soll für den neuen Menschen grundlegend sein

Bezeichnend ist dies deshalb, weil das letzte Wort zu den großen Lebensfragen hier nicht länger von der Vernunft erwartet wird. Die Kunst und die ästhetische Wahrnehmung sollen für den neuen Menschen grundlegend sein. Diese Vision hat Friedrich Schiller in ein Gedicht gefasst, das später von Ludwig van Beethoven vertont wurde. Es ist der berühmte Schlusschor der neunten Sinfonie, der heute als die offizielle Hymne der Europäischen Union fungiert.

Der Hymne geht eine Ermahnung voraus: „Oh Freunde, nicht diese Töne“, was heißen soll: Lasst nicht die grimmigen Töne eines politischen Kampfes erklingen. „Sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudvollere“. Diese Hymne klingt für Ger Groot fast liturgisch. Es wirkt so, als solle von dem Moment an, in dem der Chor einfällt, der ganze Saal mitsingen, als Repräsentant der Menschheit, die nun ihre Freude und Visionen heraussingt. Von einer direkten politischen Botschaft ist hier kaum noch die Rede. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies