Adalbert Stifter will nicht Tugend oder Sitte predigen

In einer Vorrede zu den sechs Erzählungen, denen er nach mehrfacher Umarbeitung schließlich den programmatisch gemeinten Obertitel „Bunte Steine“ gab, erläutert Adalbert Stifter (1805 – 1869) seine literarischen Absichten und einige Grundsätze seiner Weltanschauung auf wenigen Seiten. Diese sind in Aufbau und einfacher, aber einprägsamer Gedankenführung kaum zu überbieten. Ausgehend von einer dreifachen Verneinung. Er sei kein Künstler (Dichter). Er wolle nicht Tugend oder Sitte predigen und er habe weder „Großes“ noch „Kleines“ als Ziel. Damit will Adalbert Stifter sich und seine Freunde abgrenzen gegen die alles zersetzende Außenwelt. Denn, so sagt er, er wolle nur „Geselligkeit unter Freunden“ und ein Körnchen Gutes zum Bau der Welt beitragen – und natürlich wolle er auch vor falschen Propheten schützen. Erst nach dieser fast familiären Erklärung greift Adalbert Stifter weiter aus und erläutert, was er mit dem Großen und dem Kleinen meint.

Revolutionen werfen die göttliche Ordnung um

Für Adalbert Stifter konnte es keine Frage sein dass der Mensch den großen Gewalten der Natur nicht gewachsen war und dass sie deshalb auch als Vorbild für menschliches Handeln ungeeignet sein mussten. Adalbert Stifter hielt eine konservativ-rationale Haltung für möglich und nach 1848 für notwendig, um der Menschengewalt – und nichts anderes war für ihn eine Revolution – dauerhaft zu begegnen. Er wollte erreichen, dass die Menschen sich in kleinen Schritten und aufbauend auf ihre Tradition zu verantwortlichem Handeln durchringen.

Adalbert Stifters Übertragung von Erscheinungen der Natur auf den menschlichen Charakter war vorsichtig. Aber doch eine deutliche Absage an jede revolutionäre Entwicklung, wo immer sie auch auftreten mochten. Für den gläubigen Christen Adalbert Stifter konnten Revolutionen nicht Teil des göttlichen Weltplanes sein. Er betrachtete sie vielmehr als einen Eingriff des Menschen in diesen Plan mit dem Ziel, die göttliche Ordnung umzuwerfen. Die Folgerung, die Adalbert Stifter weitgehend dem Publikum überlässt, ist daher sehr deutlich.

Das Maß der Natur ist auch im Menschen angelegt

Nur Menschen, denen die Ehrfurcht vor dem Ganzen fehlt, können aus mangelnder Pietät gegen das rechte Maß der Natur (als Schöpfung Gottes) revolutionäre Schritte tun. Damit aber gefährden sie ihr eigenes Leben. Denn das rechte Maß der Natur ist auch im Menschen angelegt, werde aber allzu gern übersehen. Revolutionäre Menschen sind also maßlos. Der Einzelne verachtet das Ganze, die ruhige Entwicklung und „geht seiner Lust und seinem Verderben nach“. Hier wird deutlich, dass Adalbert Stifter eine „innere“ und eine „äußere“ revolutionäre Handlung unterscheidet, die sich gegenseitig bedingen.

Adalbert Stifter hat, was er in der Vorrede zu „Bunte Steine“ andeutete, in den sechs Erzählungen der Sammlung umgesetzt, am vollendetsten wohl in „Bergkristall“. In dieser Erzählung führt der Dichter den Leser behutsam aber konsequent von „außen“ (die Berge als große Kräfte der Natur) immer weiter nach „innen“. Bis hin zum Wunder der Rettung zweier Kinder. Diese hatten sich verirrt und mussten so die Christnacht im ewigen Eis verbringen. Das Wunder der Rettung ist also eine Überwindung der Natur durch göttliche Fügung. Adalbert Stifter gibt sich große Mühe dabei, nicht unglaubwürdig zu sein. Quelle: „Deutsche Literaturgeschichte“ aus dem Verlag J. B. Metzler

Von Hans Klumbies