Die Ursprünge von Fehlerkultur liegen in einem Bereich, der mit Psychogeschwätz rein gar nichts zu tun hat: in der Luftfahrt. Helene Bubrowski erklärt: „Fehler sind hier besonders gefährlich. Man möchte sich vorstellen, dass Piloten und Towerlotsen zu Menschen gewordene Präzisionsgeräte sind, denen nichts entgeht, die immer sofort und richtig reagieren.“ Auf den ersten Blick erscheint es daher paradox, dass sich gerade hier die Idee vom Fehlermanagement entwickelt hat. Aber eben nur auf den ersten Blick. Nach schweren Unfällen in der Luftfahrt machte sich die amerikanische Luftfahrtbehörde auf die Suche nach strukturellen Problemen. Ein erster Befund war, dass in der großen Mehrheit der Fälle, mehr als achtzig Prozent, der Kapitän am Steuer saß. Helene Bubrowski arbeitet als Politikkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Berliner Hauptstadtbüro.
Gutes Fehlermanagement kann Leben retten
Wie die weitere Analyse ergab, was das kein Zufall: Im Cockpit herrscht eine klare Hierarchie. Helene Bubrowski erläutert: „Kapitäne zögerten nicht einzugreifen, um ihre Kopiloten zu korrigieren. Aber für Kopiloten und andere Crewmitglieder gab es diese Möglichkeit faktisch nicht, Kapitäne als Piloten mit der größten Erfahrung un Inhaber der Kommandogewalt wurden nicht kritisiert.“ Nach dem Motto: Wenn sie auf ein Problem nicht reagieren, wird es schon einen Grund haben. Eine Mischung aus Angst und Respekt, die sich als fatal erwiesen hat.
Das Ergebnis der Untersuchung lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Gutes Fehlermanagement kann Leben retten. Helene Bubrowski fügt hinzu: „Diese Erkenntnis hatte durchschlagende Konsequenzen. Seither gibt es in der Luftfahrt das Crew Resource Management, das die Besatzungsmitglieder verpflichtet, unabhängig von der Hierarchie auf mögliche Fehler hinzuweisen, Einwände ernst zu nehmen.“ Es muss jedoch immer klar sein, wer die Entscheidung trifft, aber alle Bedenken, etwa die Perspektive der Kabinencrew, müssen einbezogen werden.
Die Tabuisierung von Fehlern in der Medizin muss aufhören
Für Zwischenfälle an Bord, egal ob technisch oder medizinisch, gilt eine Checkliste zur strukturierten Entscheidungsfindung. Helene Bubrowski ergänzt: „Alle Unregelmäßigkeiten eines Flugs müssen hinterher aufgearbeitet werden, sämtliche Mitglieder der Crew beteiligen sich daran.“ Damit sie auch bereit sind zu berichten, was sie selbst falsch gemacht haben, wird von vielen Airlines zugesichert, dass sie keine Konsequenzen befürchten müssen.
Es geht darum, die Fehlerquelle aufzudecken und künftig zu eliminieren. Helene Bubrowski stellt fest: „Die Wirkung dieses Fehlermanagementsystems ist messbar: Der Anteil der Unfälle aufgrund menschlichen Versagens ist innerhalb von zwanzig Jahren von siebzig auf dreißig Prozent gesunken.“ Eine schöne Erfolgsgeschichte, die Vorbild für andere Bereiche sein könnte. Unter Ärzten mehren sich die Stimmen, welche die Tabuisierung von Fehlern in der Medizin anprangern. Auch hier gilt: Fehler nicht zu kommunizieren, kostet Menschenleben. Quelle: „Die Fehlbaren“ von Helene Bubrowski
Von Hans Klumbies