Viele Menschen bemerken ihre Würdelosigkeit gar nicht

Dass sich einzelne Personen sehr würdelos verhalten, hat der Hirnforscher Gerald Hüther in seinen Leben schon oft genug erlebt. Sonderbarerweise schienen die das gar nicht zu bemerken. Gerald Hüther erläutert: „Und mir selbst ist dieses würdelose Verhalten wohl nur deshalb aufgefallen, weil ich das Glück hatte, in meinem Leben auch einigen Menschen zu begegnen, die anders waren.“ Durch die Art und Weise, wie sie anderen Menschen begegneten, und oft auch, wie sie mit anderen Lebewesen umgingen, machten sie für Gerald Hüther erfahrbar, was es heißt, würdevoll zu leben. Über Jahrtausende lebten die Menschen von ihrer Hände Arbeit. Heute verbringen viele von ihnen die meiste Zeit vor Bildschirmen und brauchen ihre Finger nur noch zum Tippen. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.

Die Arbeit hat sich der Logik des Algorithmus zu unterwerfen

„Deadline“, Todeslinie, heißt das Wort, das in vielen Betrieben für erhöhten Pulsschlag sorgt. Für Stress und Depression, weil bisher auch von der Wucht der Digitalisierung verschonte Arbeit sich der Logik des Algorithmus zu unterwerfen hat. War es mit Beginn der Digitalisierung die Handarbeit, die getaktet und normiert wurde, so wird jetzt auch die Kopfarbeit zu einem Fließbandjob. Jederzeit ist messbar, was welcher Mitarbeiter wie schnell erledigt. Standards und genau festgelegte Abläufe bestimmen den Job.

Gerald Hüther weiß: „Immer mehr Maschinen erledigen heute schon das, was bisher Menschen machten. Software sichtet juristische Dokumente und ersetzt einen Teil der Arbeit von Anwälten. Computer verwalten Vermögen und schaffen Banker ab. Busse rollen ohne Fahrer, Drohnen führen Krieg.“ In den nächsten Jahren werden wohl auch autonome Killer-Roboter traurige Realität sein. Das nächste große Ding wird die Weiterentwicklung dieser Algorithmen und Zahlenkombinationen. Computer bewerten beispielsweise bereits heute menschliches Verhalten anhand der Stimmlage bei Telefonaten.

Automaten merken alles und vergessen nichts

Registriert, bewertet und katalogisiert wird, wie wer um sich schaut, den Kopf hält, die Augen dreht: Jede Abweichung von der Norm ist verdächtig, und die Norm wird von Ziffern definiert. Algorithmen können sich selbst verbessern und aus ihren Fehlern lernen. Programmierer träumen von Maschinen, die sich fortlaufend selbst weiterentwickeln. Menschen, die nicht weiter optimiert werden können, werden dann nutzlos. Die an ihre Stelle gerückten Automaten werden nie müder oder krank sein. Sie merken alles und vergessen nichts.

Woanders auf der Welt haben Menschen noch viel drängender Probleme; viele wissen nicht, wie sie den nächsten Tag überleben und ihre Kinder durchbringen sollen. Klar würden sie lieber auch so leben wie die Menschen in den Staaten des reichen Westens. Es scheint auf den ersten Blick zu verlockend. Die Bilder des schönen Lebens in den reichen Ländern erreichen inzwischen selbst den letzten Winkel der Welt. Und wenn sie sich dann aufmachen, um in den reichen Industrienationen ihr Glück zu finden, dann errichtet der einen Staat einen Zaun und der andere baut eine Mauer. Quelle: „Würde“ von Gerald Hüther

Von Hans Klumbies