Holger Volland stellt die Frage nach der Einzigartigkeit des Menschen

Ein kulturelles Selbstverständnis beruht auf der Annahme, dass die Menschen einzigartige Wesen sind, weil sie mit ihrem kreativen Geist komplexe Ideen entwickeln und die Welt nach ihrem Willen gestalten können. Holger Volland fügt hinzu: „Die christlichen Religionen und das Judentum nennen den Menschen ein Abbild Gottes und die Krone der Schöpfung, weil nur er wie Gott Dinge nach freiem Willen selbst erschaffen kann.“ Die meisten Philosophen stimmen darin überein, dass der Mensch nicht nur ein Geschöpf in der Welt, sondern ein aktiver Schöpfer seiner Welt und Gestalter des Wesens seiner Gattung ist. Wenn Algorithmen nun so funktionieren können wie unsere neuronalen Netze im Gehirn, dann können sie lernen, was Kultur ist und darauf basierend ihre eigene Kultur gestalten. Der Informationswissenschaftler Holger Volland lehrte an der Hochschule Wismar Gestaltung und kuratierte große Ausstellungen der Gegenwartskunst in Argentinien und Deutschland.

Die Maschinen könnten über den Menschen hinauswachsen

Holger Volland stellt folgende Fragen: „Zeigen uns diese Algorithmen also nach zweihunderttausend Jahren Menschheitsgeschichte, dass wir doch nicht so einzigartig sind, wie wir dachten? Sind wir vielleicht übereifrig geworden in unserem Gestaltungseifer und haben nun in den Maschinen etwas Neues geschaffen, das gerade dabei ist, selbst im Gestalten und Erschaffen über uns hinauszuwachsen?“ Vielleicht werden sich die Menschen in einigen Jahrzehnten über die heutige Naivität der heutigen Bevölkerung wundern.

Vielleicht werden sie schmunzeln, wenn sie daran denken, wie schmerzhaft es für die damaligen Menschen war zu erkennen, dass ihr Gehirn und ihre Gefühle nicht einzigartig sind – dass sie ersetzbar sind. Einst taten sich die Menschen schwer mit der Erkenntnis, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist – erst Kopernikus konnte diesen Irrglauben beenden. Holger Volland fragt: „Wollen wir heute genauso wenig wahrhaben, dass wir nicht die einzigen Wesen dieser Welt sind, die Sprache entwickeln, kreativ tätig sind oder Kunst und Kultur schaffen können?“

Der Mensch ist nicht mehr die Krone der Schöpfung

Denn wenn die Menschen nicht die Einzigen sind, die kreativ ihr Leben gestalten können, dann sind sie auch nicht die Krone der Schöpfung und nicht die genialsten Superhirne, die der Überlebenskampf der Evolution je hervorgebracht hat – eine Nachricht, die schwer zu verdauen ist. Holger Holland ergänzt: „Und doch deutet alles darauf hin, dass wir uns besser schnell an diesen Gedanken gewöhnen. Denn wir selbst haben die Maschinen entwickelt, die gerade dabei sind, den Schritt in die kulturelle Selbstständigkeit zu gehen.“

Ihre neu erlernten Fähigkeiten, selbst kulturelle Leistungen zu erbringen, Texte oder Musik zu schreiben, Bilder zu malen oder Beziehungen zwischen Lebewesen zu analysieren, verwandelt sie in den Augen des Menschen von objekthaften Werkzeugen zu lebendigen Subjekten. Die menschliche Kultur bildet die DNA der menschlichen Gemeinschaft. Diese DNA wird nun künstlich nachgebildet – und das wird mit all den Innovationen, die auf die Menschheit zukommen, das Leben der Menschen aus den Fugen heben. Quelle: „Die kreative Macht der Maschinen“ von Holger Volland

Von Hans Klumbies