Europa erfindet die Demokratie

Zu den Hochwerten der europäischen Kulturgeschichte gehört die Erfindung der Demokratie. Sie wird heute in allen großen Reden auf die Europäische Union (EU) als eine Haupterrungenschaft der europäischen Kultur gepriesen. Verbunden ist sie mit Begriffen wie Toleranz, Menschenrechte, Freiheit und anderen mehr. Silvio Vietta weiß natürlich auch: „Dabei hatte die Demokratie in Europa lange Zeit einen schweren Stand. Der Wert der Demokratie war nämlich immer auch umstritten. Ist sie nicht auch eine Form der Pöbel-Herrschaft? Gibt sie nicht Macht in Hände, die damit nicht vernünftig und rational umgehen können?“ Und handelt es sich eigentlich noch um eine gut funktionierende Demokratie, wenn bei vielen Wahlen ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung gar nicht mehr von seinem Wahlrecht Gebrauch macht? Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Das Bürgertum ersetzt die Adelsgesellschaft

Zudem scheinen viele Politiker überhaupt nicht mehr das der Gegenwart angemessene Problembewusstsein zu haben. Die Demokratie wurde im sechsten Jahrhundert v. Chr. aus der Taufe gehoben. Sie erlebte im fünften Jahrhundert eine Blüte in Athen, um schon gegen Ende des Jahrhunderts sich dort aufzureiben und zu zerfallen. Die Demokratie steht in einem engen Verbund mit dem anderen abendländischen Grundwerten. Dazu zählt Silvio Vietta das eigenständige Denken, die Suche nach Wahrheit, die Kritik sowie die Behauptung von Freiheit.

Dazu gehören auch die Individualität, die Rechtssicherheit und auch die Wehrfähigkeit einer Kultur. Sie ist somit eng verbunden mit der Geburt der Rationalität im antiken Griechenland als einer Neugründung aller Sektoren der Kultur. Die Entstehung der griechischen Polis zu einer sich demokratisch selbst verwaltenden Bürgergemeinde ist ein soziologischer Prozess. In dessen Verlauf wurde die alte Adelsgesellschaft durch ein erstarktes Bürgertum zurückgedrängt.

Die Krieger agieren wie eine Walze

Das Bürgertum zog sein neues Selbstbewusstsein auch aus seinen militärischen Aktionen. Zwar gab es bei den archaischen Griechen schon Schlachtreihen, aber die mythischen Helden waren Einzelkämpfer. Seit dem siebten Jahrhundert bildete sich die Kriegsform der Hopliten-Phalanx. Dabei handelte es sich um wie eine Walze agierende Krieger-Formation von schwer bewaffneten Männern. Die Rüstung für diese Hopliten war teuer. Wer sie bezahlen konnte, musste selbst über Besitz verfügen und konnte aufgrund dieses Besitzes und seiner kriegerischen Kampfkraft auch politische Rechte fordern.

Wahrscheinlich entwickelt sich in dieser neuen Hoplitenschicht jenes neue politische Selbstbewusstsein, das sich nicht mehr von adeligen Herrscherhäusern oder Tyrannen kommandieren lassen wollte. Diese Gruppierung strebte danach, in Eigenverantwortung das politische Geschehen selbst in die Hand zu nehmen. Silvio Vietta weiß: „Im Jahr 514 v. Chr. verübten die Freunde Harmodios und Aristogeiton ein Attentat auf die Tyrannenbrüder Hippias und Hipparchos. Letzterer kam dabei ums Leben.“ Quelle: „Europas Werte“ von Silvio Vietta

Von Hans Klumbies