Der berühmte deutsche Soziologe Ulrich Beck vertritt die These, dass die gesellschaftliche Produktion von Reichtum in der fortgeschrittenen Moderne einhergeht mit der Erzeugung von Risiken. Entsprechend werden seiner Meinung nach Probleme und Konflikte bei der Verteilung der Mangelgesellschaft überlagert durch die Schwierigkeiten und Spannungen, die aus der Produktion, Definition und Verteilung wissenschaftlich-technisch produzierter Konflikte entstehen. Ulrich Beck erklärt: „Dieser Wechsel von der Logik der Reichtumsverteilung in der Mangelgesellschaft zur Logik der Risikoverteilung in der entwickelten Moderne ist historisch an zwei Bedingungen gebunden.“ Er vollzieht sich erstens in dem durch das erreichte Niveau der menschlichen und technologischen Produktivkräfte sowie durch rechtliche und sozialstaatliche Sicherungen, die dafür sorgen, dass echte materielle Not objektiv verringert und sozial ausgegrenzt werden kann. Ulrich Beck war bis 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seither ist er Gastprofessor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science.
Das Versprechen auf Sicherheit wächst mit den Risiken
Zweitens ist dieser kategoriale Wechsel laut Ulrich Beck auch davon abhängig, dass im Zuge der exponential wachsenden Produktivkräfte im Prozess der Modernisierung Risiken und Potentiale der Selbstbedrohung in einem bisher nicht bekannten Ausmaß freigesetzt werden. Ulrich Beck definiert Modernisierung nicht nur als technologische Rationalsierungsschübe und die Veränderung von Arbeit und Organisation. Für ihn umfasst sie zudem auch den Wandel der Sozialcharaktere, der Lebensstile und Liebesformen, der Strukturen von Einfluss und Macht, den Formen der Unerdrückung und Beteiligung sowie die Auffassungen von Wirklichkeit und Erkenntnis.
In der Gesellschaft der Moderne geht es nicht mehr oder nicht mehr ausschließlich um die Nutzbarmachung der Natur, um die Herauslösung des Individuums aus den Zwängen der Tradition, sondern es geht auch und wesentlich um Folgeprobleme der technischen und ökonomischen Entwicklung selbst. Ulrich Beck erläutert: „Der Modernisierungsprozess wird reflexiv, sich selbst zum Thema und Problem.“ Das Versprechen auf Sicherheit wächst seiner Meinung nach mit den Risiken und muss durch eine wachsame und kritische Öffentlichkeit durch kosmetische oder wirkliche Eingriffe in die technisch-ökonomische Entwicklung immer wieder bekräftigt werden.
Zu den Quellen des Reichtums gesellen sich die wachsenden Gefahren der Nebenfolgen
Die Verheißungen der Befreiung von unverschuldeter Armut und Abhängigkeit liegen laut Ulrich Beck dem Handeln, Denken und Forschen in Kategorien sozialer Ungleichheit zugrunde, und zwar von den Gesellschaften der Klassen und Schichten bis hin zur individualisierten Gesellschaft. In den hochentwickelten, reichen Wohlfahrtsstaaten des Westens geschieht nun ein Doppeltes: erstens verliert der Kampf um das tägliche Brot die Dringlichkeit eines alles in den Schatten stellenden Kardinalproblems.
An die Stelle des Hungers treten in den Gesellschaften der Moderne die Probleme der dicken Bäuche. Dem Prozess der Modernisierung wird jedoch damit seine bisherige Grundlage der Legitimation entzogen, nämlich die Bekämpfung des evidenten Mangels. Parallel dazu verbreitet sich das Wissen, dass die Quellen des Reichtums verunreinigt sind durch die wachsenden Gefahren der Nebenfolgen. Ulrich Beck erläutert: „Im Modernisierungsprozess werden mehr und mehr auch Destruktionskräfte in einem Ausmaß freigesetzt, vor denen das menschliche Vorstellungsvermögen fassungslos steht.“
Von Hans Klumbies