Kein Mensch kann multitasken

Die Meinungen der Menschen über aktuelle Ereignisse wurden und werden zutiefst vom Internet beeinflusst. Viele Menschen lassen sich auf einen ständigen Nachrichtenstrom ein, der zweifellos beeinflusst, wie sie die Welt sehen, und auch prägt, auf welche Weise sie einander ihre Erfahrungen mit der Welt mitteilen. Julia Shaw weiß: „Soziale Medien steigern unsere Möglichkeiten, unabhängige Bestätigungen dafür zu finden, dass unsere Erinnerungen stichhaltig sind, haben aber auch das Potenzial, sie zu verfälschen und zu verzerren.“ Menschen denken über Dinge nach, die sich gerade ereignet haben, sie dokumentieren Dinge, von denen sie denken, sie würden die meisten Likes bekommen, sie filtern ihr Leben so, dass es erstrebenswert und interessant aussieht. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

Komplexe Aufgaben erfordern Denken und Aufmerksamkeit

Aber mitten in der Freude und dem Gefühl der Verbundenheit, dass ihnen alle diese Aktivitäten bringen, halten manche Menschen gelegentlich inne und fragen sich, ob diese Kakofonie von Eindrücken ihnen wirklich guttut. Julia Shaw verrät ein Geheimnis: Kein Mensch kann multitasken! Für einige Menschen mag das keine Überraschung sein, aber andere dürften denken, sie können hervorragend mehrere Dinge gleichzeitig erledigen. Sie können wahrscheinlich wunderbar gehen, sprechen, denken und trinken, alles zur gleichen Zeit.

Aber unter Multitasking versteht man im Allgemeinen etwas Komplexeres, nämlich die Erledigung wichtiger Aufgaben, die Aufmerksamkeit und Erinnerung erfordern und auch Denken. Und spätestens seit der Einführung des Smartphones hat das Multitasking eine ganz neue Bedeutung bekommen. Julia Shaw erklärt: „Wir glauben, wir könnten uns beim Kaffee unterhalten und dabei ständig das Smartphone checken, wir könnten eine ganze Vorlesung lang iMessages schicken und empfangen und trotzdem nachher im Kopf haben, was der Dozent uns erzählt hat, und wir könnten online Fotos posten und gleichzeitig im Augenblick sein und ihn genießen.“

In Selbsttäuschung ist das Gehirn sehr gut

Die Grundannahme vieler Menschen, dass sie prima multitasken können, ist die Folge einer ziemlichen Ahnungslosigkeit, wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit wirklich funktionieren. Der Neurowissenschaftler Earl Miller vom MIT erklärt schlicht: „Die Menschen können nicht gut multitasken, und wenn sie behaupten, sie könnten es, dann täuschen sie sich … In Selbsttäuschung ist das Gehirn sehr gut.“ Earl Miller schlägt vor, für die Situationen, in denen Menschen denken, sie würden Multitasking betreiben, sollte man besser das Wort „Aufgabenwechsel“ verwenden.

Earl Miller fährt fort: „Wenn die Menschen glauben, sie würden multitasken, wechseln sie in Wirklichkeit einfach sehr schnell zwischen Aufgaben hin und her. Und jedes Mal, wenn sie das tun, hat das einen kognitiven Preis.“ Während man also das Gefühl hat, man würde die Dinge auf diesem Weg schneller bewältigen, überfrachtet man in Wirklichkeit nur sein Gehirn. Derek Crews und Molly Russ von der Texas Women`s University sind davon überzeugt, dass Multitasking schlecht für die Produktivität, das kritische Denken und die Konzentrationsfähigkeit ist und dazu führt, dass man häufiger Fehler macht. Quelle: „Das trügerische Gedächtnis“ von Julia Shaw

Von Hans Klumbies