Für Colin Crouch, dem Autor des Buchs „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“, das im Suhrkamp Verlag erschienen ist, sind nicht nur die Akteure der Finanzmärkte, sondern auch die politischen Anhänger des Neoliberalismus blind für einschneidende Erfahrungen mit der real existierenden Wirtschaft des Kapitalismus. Der oberste neoliberale Grundsatz lautet laut Colin Crouch, dass auf alle Fragen, welche Waren und Dienstleistungen wie hergestellt und gehandelt werden sollen, minimal regulierte Märkte stets die besten Lösungen hervorbringen. Wenn die Märkte nicht so funktionieren wie gedacht, liegt das nach Ansicht der Neoliberalen vor allem an Eingriffen des Staates in das Geschehen des Marktes. Der Neoliberalismus vertritt die These, dass Konsumenten, Investoren und Produzenten den Markt dank des Wettbewerbs wesentlich besser einschätzen können als diskutierende Bürger, Politiker, die sich dem Konsens verschrieben haben und planende Institutionen der Verwaltung.
Die Neoliberalen negieren die marktbeherrschende Stellung der Großkonzerne
Colin Crouch beschreibt das politische Programm des Neoliberalismus wie folgt: Privatisierung öffentlicher Unternehmen, Deregulierung der Märkte und Markteintritt öffentlicher Institutionen wie Universitäten, zum Beispiel in Form der Kooperation mit Konzernen, die in die Forschung investieren. Der Neoliberalismus setzt laut Colin Crouch ganz auf den Homo oeconomicus als Konsumenten, Produzenten und Investor. Die freiheitliche Gesellschaft wird nach Ansicht der Neoliberalen durch privatrechtliche Verträge zwischen Marktteilnehmern getragen.
Für Colin Crouch steht ohne Zweifel fest, dass der Neoliberalismus mit der seit dem Jahr 2008 andauernden Krise der deregulierten Finanzindustrie seine größte Schmach erlitten hat. Trotz aller negativen Auswirkungen auf das kapitalistische Wirtschaftssystem gibt es seiner Meinung nach bei den Neoliberalen weder ein neues Denken, noch einen Wechsel in der politischen Ausrichtung. Denn sie sind blind für die marktbeherrschende Stellung von Großkonzernen, die weltweit operieren und die für globale Wirtschaftsschäden verantwortlich sind.
Der Staat ist kein optimaler Gegenspieler des Neoliberalismus
Die Neoliberalen betrachten die Bildung von Großkonzernen nur unter dem Blickwinkel der Kostenersparnis. Es entspricht dem neoliberalen Gedankengebäude, dass der Markt keine selbstzerstörerischen Prozesse erzeugt, woraus folgt, dass auch Konzerngiganten die Märkte nicht vernichten können. Colin Crouch schreibt: „Der real existierende Neoliberalismus beruht auf dem politischen Einfluss von Großkonzernen.“ Laut einer Schweizer Studie besitzen inzwischen 147 weltweit operierende Konzerne die Kontrolle über 17.200 Unternehmen.
Dem Staat als Gegenpol zum Neoliberalismus mehr Verantwortung zu übertragen ist für Colin Crouch auch keine optimale Lösung, weil Regierungen und Behörden viel zu oft und zu eng mit den Konzernen zusammenarbeiten. Am ehesten traut Colin Crouch noch der Zivilgesellschaft zu, dem Neoliberalismus Zügel anzulegen. Unter Zivilgesellschaft fasst Colin Crouch Bürgerinitiativen, Organisationen mit gemeinnützigem Charakter, Berufsstände, Kirchen und sogar Parteien zusammen, wenn letztgenannte nicht im Regierungsfilz verstrickt sind.
Von Hans Klumbies