Vor zehn Jahren hat der berühmte Schriftsteller Martin Walser in sein Tagebuch folgende Worte geschrieben: „Die Kriege sind vorbei, die Kämpfe haben erst begonnen.“ In jenem Frühjahr erschien sein Buch „Tod eines Kritikers“. Martin Walser ist am 24. März dieses Jahres 85. Jahre alt geworden und sprüht immer noch voller Tatendrang. Seit seinem 75. Geburtstag sind nicht weniger als vier Romane von ihm veröffentlicht worden. Sie heißen „Der Augenblick der Liebe“, Angstblüte“, „Ein liebender Mann“ und „Muttersohn“. Nebenbei hat er die Novelle „Mein Jenseits“, drei umfangreiche Tagebuchbände sowie 39 Balladen und mehrere Essays geschrieben. Die schriftstellerische Produktivität Martin Walsers ist beeindruckend. Seine Themen dringen immer mehr in das Existenzielle eines Menschenlebens vor – immer tiefer, immer kräftiger dringt er in die unergründlichen Tiefen des Daseins ein.
Der Lust am Widerspruch ist Martin Walser treu geblieben
Inhaltlich gibt es in den Romanen Martin Walsers immer wiederkehrende Motive: die Freude am Widerspruch, das Verlangen nach dem Glauben, den Kampf um Anerkennung sowie dem grundlegenden Prinzip, dass es keine wahre Aussage ohne eine gegenteilige Wahrheit geben kann. Er bleibt seinen Überzeugungen treu, immer wieder treten sie in innovativer Form auf. Die Lust an der fantasievollen Formulierung hat Martin Walser auch mit 85. Jahren noch lange nicht verloren. Es herrscht ein nachdenklicher Ton in seinen Schriften, er ist ein Autor der um die Wahrheit ringt. Hat er sie gefunden, schleudert er sie kraftvoll in die Welt.
Im September dieses Jahres erscheint sein neuer Roman „Das dreizehnte Kapitel“. Er erzählt, dass kaum ein Titel solange in seinen Tagebüchern existiert habe, wie dieser. Seit dem Jahr 1994 beschäftigt er sich damit. Martin Walser sagt: „Im Laufe der Jahre habe ich dauernd etwas notiert, was dazu passen könnte – aber dann war da sehr deutlich ein Weg, und der ernährt sich hauptsächlich selber und braucht keine Lieferungen mehr von früher.“ Martin Walser behauptet auch immer wieder, dass er stets über das geschrieben habe, was ihm selbst gefehlt hat.
Empfindungen lassen sich nicht in ein ja und ein nein aufspalten
Für Martin Walser existieren keine Zufälle. Sie sind seiner Meinung nach nichts anderes als nichtdurchschaute Gesetzmäßigkeiten. Seine große Stärke als Autor ist die Auslotung der Welt des Ausdrucks. Er betrachtet das Dasein als Kette schwankender Empfindungen, die sich nicht in ein ja und ein nein trennen lassen. Martin Walser hat einmal die Forderung aufgestellt, als Schriftsteller in jedem seiner Sätze selbst enthalten zu sein. In der Regel gelingt ihm das auch.
Martin Walser fühlt sich lebendig, wenn er im Gegensatz zu einem Atheisten sagen kann: Gott gibt es nicht, aber er fehlt. Darum beschäftigt er sich auch mit dem Theologen Karl Barth und dem Philosophen Friedrich Nietzsche. Martin Walser nennt den Grund dafür: „Das sind zwei leidenschaftliche Rechtfertigungsbedürftige. Beide wissen, dass es Rechtfertigung nicht gibt, und verwenden alle Leidenschaft darauf, auszudrücken, was dadurch fehlt.“
Von Hans Klumbies