Juan Somavía fordert ein neues Wachstumsmodell

Die Wirtschaftskrise trifft Arbeitnehmer laut Juan Somavía am härtesten. Er klagt dabei die Politik an, die in den vergangen Jahrzehnten den Begriff der guten, menschenwürdigen Arbeit entwertet hat. Der Chilene Juan Somavía, seit 1999 Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf, schreibt: „So gilt Arbeit im gegenwärtigen Wachstumsmodell lediglich als Kostenfaktor. Dieser muss so gering wie möglich gehalten werden, um Wettbewerbsfähigkeit und Gewinne zu sichern.“ Die Arbeitnehmer werden seiner Meinung nach nur noch als Kreditnehmer betrachtet. Ihr legitimer Anteil an dem Wohlstand, den vor allem sie geschaffen haben, wird ihnen vom Arbeitgeber in der Form von zu niedrigen Löhnen vorenthalten.  

Die Werte der Gerechtigkeit und der Solidarität werden ignoriert

Juan Somavía vertritt die Ansicht, dass von der Wirtschaft und der Politik übersehen wird, dass gute Arbeit die Grundlage der Würde einer Person, der Stabilität der Familien, des sozialen Zusammenhalts und Friedens sowie der Glaubwürdigkeit der Regierungsführung in einer Demokratie entspricht. Juan Somavía ergänzt: „Der Grundkonsens, dass Arbeit keine Ware ist, ist verloren gegangen.“ Besonders deutlich wird dieser Trend seiner Meinung nach in den Industrieländern, zuallererst in der Euro-Zone.

In Europa versucht die Politik gemäß Juan Somavía gegen eine immer höhere Verschuldung anzukämpfen, wodurch sie allerdings immer größere soziale Defizite schafft. Er hegt keinen Zweifel daran, dass Gerechtigkeit und Solidarität als grundlegende Werte der EU offensichtlich ignoriert werden. Juan Somavía erklärt: „Dabei handelt es sich um Werte, die in allen wichtigen europäischen Verträgen festgeschrieben sind. Auch die simple Wahrheit, dass zum Schuldenabbau Wachstum und Beschäftigung nötig sind, wird zu oft ausgeblendet.“

Bei einer neuen Art des Wachstums muss der Mensch im Mittelpunkt stehen

Juan Somavía fordert von der europäischen Politik eine sozial verantwortliche Haushaltskonsolidierung. In einer Demokratie ist es seiner Meinung nach wichtig, das langfristige Vertrauen der Bürger und vor allem der schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft zu erhalten. Kontraproduktiv ist es dagegen, kurzfristig das Vertrauen der Finanzmärkte zu gewinnen. Juan Somavía ist der festen Überzeugung, dass das gegenwärtige globale Wachstumsmodell verändert werden muss. Juan Somavía fügt hinzu: „Sicher, es ist ein Modell, das einen gewaltigen Reichtum geschaffen hat, aber dieser Reichtum konzentriert sich in den Händen sehr weniger.“

Anders als die Politiker den Menschen glauben machen wollte, führte dieses Wachstumsmodell nicht zu einem sozial ausgewogenen Wachstum und ist letztendlich daran gescheitert. Juan Somavía fordert: „Was wir brauchen, ist eine neue, andere Art von Wachstum, umweltbewusst und mit dem Menschen im Mittelpunkt. Das heißt ein Wachstumsmodell, dessen Hauptziel es ist, Wohlstand und Wohlergehen aller Menschen zu mehren und Ungleichheit zu mildern.“

Von Hans Klumbies