Theodor W. Adorno fordert die Erziehung zur Mündigkeit

Die Forderung zur Mündigkeit erscheint für Theodor W. Adorno in einer Demokratie als eine Selbstverständlichkeit. Um diese Tatsache zu verdeutlichen, zitiert er Immanuel Kant, der sagt, selbstverschuldet sei die Unmündigkeit, wenn die Ursachen derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegen. Immanuel Kant schreibt: „Aufklärung ist Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Dieser Satz ist auch heute noch aktuell, denn Demokratie beruht laut Theodor W. Adorno auf der Willensbildung eines jeden Einzelnen, wie sie sich in der Institution der repräsentativen Wahl zusammenfasst. Theodor W. Adorno, geboren am 11. September 1903 in Frankfurt am Main, gestorben am 6. August 1969, lehrte in Frankfurt als ordentlicher Professor für Philosophie und Soziologie und war Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität.

Die Voraussetzung der Mündigkeit ist von der Unfreiheit der Gesellschaft determiniert

Soll bei einer Wahl nicht die Unvernunft den Sieg davontragen, so sind die Fähigkeit und der Mut jedes Einzelnen, sich seines Verstandes zu bedienen, vorausgesetzt. Begabung ist für Theodor W. Adorno, wie man es etwa im Verhältnis zur Sprache und an der Ausdrucksfähigkeit beobachten kann, in einem eminenten Maß Funktion gesellschaftlicher Bedingungen. Daraus folgt, dass schon die Voraussetzung der Mündigkeit, von der eine freie Gesellschaft abhängt, von der Unfreiheit der Gesellschaft determiniert ist.

Theodor W. Adorno hat in der pädagogischen Literatur den Komplex der Mündigkeit gesucht und ist dabei nicht fündig geworden. Er kritisiert: „Und anstelle von Mündigkeit findet man da einen existentialontologisch verbrämten Begriff von Autorität, von Bindung, oder wie all diese Scheußlichkeiten sonst heißen, die den Begriff der Mündigkeit sabotieren und damit die Vorraussetzungen einer Demokratie nicht nur implicite, sondern recht offen entgegenarbeiten.“ Hier zeigt sich seiner Meinung nach sehr deutlich, welchem Muff eine scheinbar im Bereich des Geistes angesiedelte Thematik wie die Mündigkeit ausgesetzt ist.

Richtige Praxis stellt sich nur durch unbeirrbares und insistentes Denken ein

Für Immanuel Kant sind Erziehungsziele nie Setzungen des Denkens, sind nie rational zwingend oder allgemein gültig. Theodor W. Adorno glaubt, dass man philosophisch sehr wohl an dem Begriff der absoluten Vernunft und an der Illusion, die Welt sei das Produkt des absoluten Geistes, Kritik üben darf. Andererseits darf man nicht verleugnen, dass anders als durch Denken, und zwar durch unbeirrbares und insistentes Denken, so etwas wie die Bestimmung dessen, was zu tun richtig sei, richtige Praxis überhaupt, nicht vollziehbar ist.

Theodor W. Adorno weist darauf hin, dass das Problem der Mündigkeit nicht nur allein in Deutschland existiert, sondern international vertreten ist. Und, wie er hinzufügt, das weit über die Grenzen der politischen Systeme hinausreicht. Als Beispiel nennt er Amerika, weil hier unmittelbar zwei verschiedenen Forderungen aufeinanderprallen: auf der einen Seite, die des kräftigen Individualismus, auf der anderen Seite die vom Darwinismus bezogenen Idee der Anpassung.

Von Hans Klumbies