Rebekka Reinhard zeigt die Vielfalt des Fremden

Überall wo der Mensch die Erfahrung macht, sich nicht auszukennen, begegnet er laut Rebekka Reinhard dem Fremden. Doch es gibt Unterschiede zwischen fremd und fremd. Zuerst ist fremd einmal alles, was neu ist. Dann ist fremd auch, was sich der unmittelbaren Wahrnehmung und dem Erfahrungshorizont des Menschen entzieht. Es gibt noch weitere Varianten des Fremden. Die Philosophin schreibt: „Fremd ist, was nicht normal ist: Ausnahmezustände wie Krieg, Naturkatastrophen oder Krankheit. Fremd ist schließlich auch die absolut andere menschliche Existenz und Identität, das ewig Unbegreifliche Unerklärliche: der Tod, der Kosmos, das Göttliche.“

Das Fremde muss nicht unbedingt dem Abnormalen entsprechen

Was dem Menschen fremd ist, irritiert und fasziniert ihn, gleichzeitig macht es ihm aber auch Angst. Streng genommen lässt sich das Fremde laut Rebekka Reinhard nur von der negativen Seite her bestimmen, als das, was unbekannt, unnormal und nicht in Worte zu fassen ist. Die normale Art der Menschen mit dem Fremden umzugehen, ist es zu normalisieren. Aber das Fremde muss nicht unbedingt mit dem Abnormalen identisch sein. Dann gibt es noch ein Fremdes, das nicht nur eine Abweichung des Normalen ist, dass sich jeglicher Kontrolle entzieht, weil es sich in keine Ordnung einfügen will.

Rebekka Reinhard zitiert den deutschen Philosophen Bernhard Waldenfels, der in seiner Studie „Grenzen der Normalisierung“ schreibt: „Mit dem Fremden kann man weder rechnen, noch kann man darauf bauen. Jene störende Unruhe, die aus der Spannung zwischen Normalem und Anormalem erwächst, zeigt sich von alters her im Staunen, von dem sich das philosophische Denken nährt, in dem Feuerbrand, der in religiösen Riten und Texten schwelt, in der erotischen Mania, die sich erlernbaren Regeln entzieht.“

Jeder Mensch hat irrationale Anteile in sich

Jede Begegnung mit dem Fremden ist für Rebekka Reinhard ein Rätsel, ein Geheimnis. Das Internet und das Fernsehen liefert heutzutage den Menschen rätselhafte Phänomene frei Haus. Von Dionysos kann der Mensch lernen, dass er sich verliert, wenn er das Anormale, das Unkonventionelle, das Andere nicht wahrhaben will. Rebekka Reinhard schreibt: „Denn das Fremde ist nicht nur außerhalb, sondern auch in uns. Niemand von uns ist sich selbst transparent. Wir alle haben irrationale, unverständliche, dunkle Anteile in uns.“

Der Mensch kann die Geheimnisse, die in ihm verborgen sind, seine Abgründe ebenso wie seine Möglichkeiten, nur dann aufdecken, wenn er aufhört, sich immer nur mit der Normalität zu identifizieren. Rebekka Reinhard rät: „Lassen wir unsere Ängste und Vorurteile beiseite. Lassen wir es zu, vom Anormalen und Fremden berührt, vielleicht sogar angesteckt zu werden. Hüten wir uns aber davor, dessen Macht zu verleugnen.“ Denn wer sich zu sehr an der so genannten Normalität orientiert, verliert möglicherweise die Balance und verliert seinen Verstand.

Von Hans Klumbies