Wer den Existenzialismus als bloße Modeerscheinung betrachtet, der irrt sich gewaltig. In seinem Kern möchte er das Denken auf das konkrete Leben zurückführen. Die Grundeinsicht der Moderne, dass Gott tot ist und der Mensch in der Welt keinen Sinn finden kann, betrachteten die Existentialisten nicht als Bürde, sondern als Chance. Catherine Newmark, Chefredakteurin der Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Die Existenzialisten“ schreibt in ihrem Vorwort: „Sie folgerten daraus, dass jeder Mensch vollkommen frei ist, sein eigenes Schicksal zu gestalten.“ Eine starke Anziehungskraft übte der Existenzialismus auf die Emanzipationsbewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus, welche die Gesellschaften des Westens nachhaltig verändert haben. Sie reichen vom Antikolonialismus über die Studentenrevolte der 60iger Jahre bis zum Feminismus und zur Schwulenbewegung. Auch in der Gegenwart haben die Gedanken der Existenzialisten wieder eine herausragende Aktualität. Denn die Freiheit, die jeder Einzelne besitzt, ist untrennbar mit der Verantwortung für sich selbst und die Welt verbunden.
Für Albert Camus ist die Welt absurd und sinnlos
Die berühmten französischen Existenzialisten Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus waren in vielem von der deutsche Existenzphilosophie beeinflusst, zu deren herausragenden Vertretern Karl Jaspers, Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche zählen. Zu den Vorläufern zählt auch der dänische Schriftsteller und Philosoph Søren Kierkegaard, der versucht, das Leiden an der eigenen melancholischen Befindlichkeit mit Einsichten in wesentliche Aspekte der menschlichen Existenz zu verbinden. Er macht das autonome Individuum zur Grundlage einer individuellen Ethik.
Zentrale Ausgangspunkte für das existenzielle Denken sind die Angst, der Ekel, die Sterblichkeit und die Abwesenheit Gottes – Erfahrungen welche die menschliche Existenz prägen. Für Albert Camus ist die Welt absurd und sinnlos, was zuerst zu einer Revolte führt und letztlich zu einer Form der Zustimmung: Die Individuen müssen die Absurdität auf sich nehmen. Viel stärkere Folgen ziehen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir aus der Sinnlosigkeit: Sie mag zwar zum Verzweifeln sein, aber sie beinhaltet auch, dass der Mensch – von keinem Gott mehr gelenkt oder geschaffen – vollkommen frei ist, sein Leben selbst zu entwerfen.
Der Feminismus steht auf Beauvoirs Schultern
In seinem frühen Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ entwickelt Jean-Paul Sartre den Begriff der Freiheit aus dem Begriff des „Nichts“: Die Menschen sind zur Freiheit verurteilt, in die Freiheit geworfen oder, wie Martin Heidegger sagt „überantwortet“. Das Absurde ist für Albert Camus seine erste Wahrheit. Aber den Mensch darf sich dem Absurden nicht entziehen, weder durch die Hoffnung, noch durch den Selbstmord, noch durch die Einwilligung. Das ist es, was Albert Camus seien „Eigensinn“ nennt. Es geht darum „unwiderruflich zu leben“ und „unversöhnt zu sterben“.
Simone de Beauvoir, die schon früh über die Freiheit des Individuums als verbunden mit der Freiheit und Befreiung anderer nachdenkt, ebnet mit ihrer Ethik der Geschlechterverhältnisse den Weg für die zweite Frauenbewegung. Simone de Beauvoirs Hauptwerk „Das andere Geschlecht“ ist dem existenzialistischen Gedanken der individuellen Freiheit und Verantwortung zutiefst verpflichtet. Die deutsche Feministin Alice Schwarzer, Herausgeberin der Zeitschrift Emma, sagt sogar: „Der Feminismus steht auf Beauvoirs Schultern.“
Von Hans Klumbies