Deutschland verdankt seinen Erfolg der Europäischen Union

Die große existentielle Frage Europas ist für Marcel Fratzscher bei weitem noch nicht gelöst. Seiner Meinung nach blieben zentrale institutionelle und wirtschaftspolitische Reformen unvollendet. Marcel Fratzscher warnt: „Wenn wir den Pfad der minimalistischen Europapolitik fortsetzen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zur nächsten Krise kommt. Denn die Währungsunion ist mit den gegenwärtigen Strukturen nicht nachhaltig.“ Deutschland hat als größte und stabilste Volkswirtschaft in Europa nicht nur eine besondere Verantwortung, sondern auch die einmalige Chance die Zukunft des europäischen Kontinents zu gestalten. Deutschland weitert sich diese Gelegenheit zu ergreifen, weil es sich drei Illusionen hingibt. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität in Berlin.

Auch Deutschland weist nach wie vor große wirtschaftliche Strukturschwächen auf

Die erste Fehleinschätzung liegt in der Wahrnehmung, dass Deutschland in der Wirtschaftspolitik exzellent gehandelt hat und die europäischen Krisenstaaten dem Beispiel der deutschen Strukturreformen der 2000er Jahre endlich folgen müssen. Dieses Argument greift allerdings zu kurz. Marcel Fratzscher erklärt: „Deutschland schwimmt auf einer Welle der Euphorie angesichts seiner drei großen wirtschaftspolitischen Erfolge im letzten Jahrzehnt – Beschäftigungsanstieg, Verbesserung der globalen Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.“

Dabei ignoriert die deutsche Wirtschaftspolitik, dass die Bundesrepublik auch selbst weiterhin große wirtschaftliche Strukturschwächen aufweist. In Deutschland sind die Investitionen zu niedrig, das Wachstum der Produktivität ist zu schwach, die private Sparquote zu hoch und das niedrige Wachstumspotential enttäuschend. Marcel Fratzscher fügt hinzu: „Vor allem Deutschlands Investitionsschwäche etwa in Infrastruktur und Bildung führt dazu, dass wir in vielen Bereichen von unserer wirtschaftlichen Substanz leben.“

Jede Währungsunion ist per Definition immer auch eine Versicherungsgemeinschaft

Die zweite Illusion der Deutschen ist der Glaube, dass es den europäischen Krisenstaaten nur darum geht, an deutsches Geld zu kommen. Manche Kritiker der Europäischen Union vertreten die These, dass in Europa die Schulden vergemeinschaftet und die Kosten auf Deutschland abgewälzt werden sollen. Laut Marcel Fratzscher ist dies falsch, da jede Währungsunion per Definition immer auch eine Versicherungsgemeinschaft ist, die Risiken und potentielle Kosten vergemeinschaftet und auch reduziert. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke einer jeden Währungsunion.

Der dritte Irrglaube Deutschlands ist, dass es Europa nicht braucht, um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Denn die deutsche Wirtschaft ist in globalen Märkten extrem wettbewerbsfähig. Marcel Fratzscher ist allerdings davon überzeugt, dass die Deutschen den größten Teil ihres Handels immer mit ihren europäischen Nachbarn abwickeln werden. Marcel Fratzscher ergänzt: „Auch hat Deutschland gerade wegen seiner Offenheit in den vergangenen fünfzehn Jahren so stark wie kaum ein anderes Land von der Stabilität des Euro profitiert.“

Von Hans Klumbies